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Auf internationalem Parkett wird weiter an neuen Sicherheitsregeln

für Fahrgastschiffe gearbeitet. Die deutsche Schiffbauindustrie vermisst dabei eine umfassende Analyse. Daher hat man eine eigene Studie für kleinere Einheiten erstellt – ein wichtiger Markt für die hiesigen Werften.
An Fahrgastschiffe werden nicht erst seit den folgenschweren Havarien der »Costa Concordia« und der »Sewol« besondere Sicherheitsanforderungen gestellt. Angesichts der[ds_preview] tragischen Ausmaße mit zum Teil vielen toten Passagieren erlangen Schiffsuntergänge in dieser Branche stets eine große Aufmerksamkeit. Zu den schlimmsten Vorfällen der jüngsten Vergangenheit gehören neben dem Grundlauf des italienischen Kreuzfahrtschiffs und dem Kentern der koreanischen Fähre auch die Untergänge der RoPax-Fähre »St. Thomas Aquinas« vor den Philippinen und der Fähre »Rabaul Queen« vor Papua-Neuguinea.

Die Ursachen für solch schwere Havarien sind meist in menschlichem Fehlverhalten, schweren Witterungsbedingungen und mangelnder Schiffssicherheit zu finden. Um das Risiko zumindest für designbedingte Katastrophen zu verringern, wird bei der International Maritime Organization (IMO) derzeit an neuen Standards gearbeitet.

Aus Sicht der deutschen Werftenindustrie gibt es dabei jedoch Lücken. »In den Diskussionen kamen kleinere Fahrgastschiffe bislang zu kurz«, sagt Ralf Sören Marquardt, Geschäftsführer beim deutschen Verband für Schiffbau und Meerestechnik (VSM). Die bisherigen Untersuchungen erfassen größere Kreuzliner und RoRo-Fähren. Derzeit läuft eine weitere europäische Studie, »EMSA III«, die mittelgroße Schiffe einbezieht.

Der Schwerpunkt der Entwicklung liegt derzeit bei der Überarbeitung des sogenannten Unterteilungsindex R, mit dem die Überlebensfähigkeit von Schiffen bei Kollisionen und Grundberührungen besser als bisher sichergestellt werden soll.

In der Hoffnung, ein »konsistenteres Bild« zu bekommen, hat der VSM mit einigen Unternehmen jetzt eine eigene Studie zur Leckstabilität erstellt. Sie betrifft kleinere Fahrgastschiffe und personentragende Spezialschiffe aus den Offshore-, Forschungs- und Megayacht-Segmenten – in denen die deutsche Schiffbau- und Zulieferindustrie stark vertreten ist.

Mit den Partnern, der Klassifikationsgesellschaft DNV GL, den Werften Fassmer, Flensburger Schiffbau-Gesellschaft, Lürssen und Meyer sowie dem Unternehmen HeavyLift@Sea wurden Beispielrechnungen durchgeführt. Mit dem Ergebnis, dass es je nach Schiffstyp durchaus Handlungsbedarf und -möglichkeit gibt. »Die Studie erbrachte grundlegende Erkenntnisse: Eine Erhöhung der Leckstabilität ist auch für kleinere Fahrgastschiffe technisch machbar und wirtschaftlich vertretbar, wenn bestimmte Randbedingungen erfüllt werden«, heißt es seitens des VSM.

Exemplarisch wurden acht Schiffstypen zwischen 68 und 160m Länge sowie Kapazitäten zwischen 42 und 1.060 Menschen betrachtet. Untersucht wurden ein kleines Kreuzfahrtschiff (112m Länge, 280 Personen), eine Kombifähre aus indischen Gewässern (80m, 500 Personen), ein Seismik-Forschungsschiff (120m, 76 Personen), eine RoPax-Fähre stellvertretend für die europäischen Gewässer (111m, 743 Personen), ein Fahrgastschiff aus dem Helgoland-Verkehr (76m, 1.060 Personen), ein Offshore-Survey-Schiff (68m, 42 Personen), ein Schwergutschiff (160m, 70 Personen) und eine Yacht (98m, 75 Personen). Die Lebenszykluskosten wurden einbezogen, um eine Kosten-Nutzen-Analyse bei Bestandsschiffen aufstellen zu können.

Für kleinere Passagierschiffe sowie RoPax- und konventionelle Fähren fällt das Urteil positiv aus, auch wenn bei den kleinsten dieser Einheiten Anpassungen zum Teil dadurch schwierig werden, dass für ein breiteres Schiff eine stärkere Maschine nötig werden könnte, für die es aber an Platz mangelt. Bei den genannten Spezialschiffen und Yachten sieht es anders aus. In einigen Fällen setzt der Praxisbezug der Effektivität von Design-Modifizierungen enge Grenzen, weil etwa die Investitionskosten sehr hoch sind, der Treibstoffverbrauch stark steigt oder die eigentliche Einsatzbestimmung zu stark eingeschränkt wird.

Abseits der strategischen Ausrichtung sieht Marquardt einen weiteren Vorteil der VSM-Analyse in der Orientierung an den Gegebenheiten des Marktes. Bislang seien in entsprechenden Studien fast ausschließlich technisch-machbare Optionen untersucht worden. »Wir haben bei der Berechnung der Lebenszykluskosten die Transportaufgabe des Schiffs, den Business Case, als unveränderliche Randbedingung berücksichtigt«, sagt der Verbandsgeschäftsführer. Als Beispiel nennt er ein RoRo-Schiff, das für eine höhere Stabilität um 3m verbreitert wird – technisch und kosteneffektiv machbar. Das Schiff bekommt eine Ladespur mehr. »Man muss bei der Bewertung von Risikokontroll­optionen, wie zum Beispiel einer Verbreiterung, bedenken, ob es überhaupt zusätzliche Nachfrage für den neuen Laderaum gibt. Das ist gerade bei Fähren wichtig, wo es oft feste Routen und ein stabiles Ladungsaufkommen gibt«, so Marquardt weiter. Im Fährbereich spielen außerdem Fahrrinnen und Hafeneinfahrten oder -anlagen eine große Rolle, die für größere Schiffe ausgelegt sein müssen. Mittlerweile habe man sich mit dieser Herangehensweise laut Marquardt auch bei der IMO und der EMSA durchgesetzt.

Die Debatte um die Leckstabilität ist vorrangig auf Sicherheitsaspekte fokussiert. Der VSM als Vertretung der deutschen Werften verliert dabei allerdings auch die Interessen seiner Mitglieder nicht aus dem Blick. Die Fahrgastschifffahrt ist ein enorm wichtiger Markt für die hiesige Branche – über 82% des Auftragsbestands entfallen auf Einheiten, die durch die Studie abgedeckt werden.

Mit Sorge wird das IMO-Prinzip des »Grandfathering« bzw. der unbegrenzte Bestandsschutz gesehen, wonach sich neue Regelungen fast immer nur auf Neubauten beziehen. Problematisch könnte dies aus Sicht des deutschen Verbands werden, weil es unter Umständen Vorgaben für eine einschneidende Erhöhung der Leckstabilität geben wird. »Das Grandfathering führt zu starken Wettbewerbsverzerrungen, da sich neue Schiffe deutlich verteuern würden. Bestandsschiffe würden dann sehr sorgfältig ›gepflegt‹, die Neubaunachfrage würde sinken und nur wenige ältere Schiffe umgebaut werden. Daher müssen die neuen Anforderungen auf die Bestandsflotte ausgeweitet werden, um das Sicherheitsniveau zu erhöhen und Schaden von der Schiffbauindustrie abzuwenden«, fordert Marquardt. Das wäre auch im Sinne der Werften. Denn für sie sind Fahrgastschiffe – sowohl im Neubau als auch im Reparatur- und Retrofit-Bereich – ein wichtiges Geschäft. Mit der Studie wollte man nun eigentlich eine neue Diskussion auf der internationalen Ebene anstoßen. Die Ergebnisse sollten in die Sitzung des Unterausschusses »Ship Design and Construction« (SDC) eingebracht werden. Allerdings mahlen die Mühlen der Bürokratie auch in der Schifffahrt nicht schneller als anderswo. Das Plenum verwies die Studie in eine Arbeitsgruppe. Damit können die Ergebnisse erst bei der nächsten Sitzung behandelt werden. Die findet jedoch erst in einem Jahr statt. Trotzdem ist man beim VSM zuversichtlich, dass die eigene Studie Gehör findet. »Es gab positive Resonanz«, sagt Marquardt. Danach warten allerdings weitere Hürden. Der SDC muss seine Empfehlung an das Maritime Safety Committee (MSC) weiterreichen, das maximal zwei mal pro Jahr tagt. Von dort geht es zur Stellungnahme an die IMO-Mitgliedstaaten und wieder zurück zum MSC. Frühestens 2016 könnte das Verfahren abgeschlossen werden.


Michael Meyer