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Den Transportversicherern, die Schiffe, Waren und Offshore-Anlagen versichern, drohen die Risiken über den Kopf zu wachsen. In immer kürzeren Intervallen werden neue noch größere Generationen von Schiffen und Anlagen von den Werften abgeliefert. Themen wie Bergung oder Brandschutz kämen dabei häufig zu kurz, kritisiert Dieter Berg, President der International Union of Marine Insurance (IUMI), im Gespräch mit der Hansa
Für die Seeversicherer wird das Geschäft angesichts der rasanten technologischen Sprünge und mangelnden empirischen Daten zu einem Vabanquespiel. Zu allem[ds_preview] Überdruss sind die Prämienraten für wichtige Arten von Deckungen wie Seekasko seit etlichen Jahren im Keller. Ist das eine »neue Normalität«, auf die sich die Assekuranz langfristig einstellen muss? Auf ihrem Weltkongress in Berlin vom 13. bis 16. September will sich die IUMI intensiv mit dem neuen Marktumfeld auseinandersetzen.

Das Motto der bevorstehenden Weltkonferenz lautet »Technical, Financial & Human Factors – Is there a new normal?«. Was hat sich denn für die Transportversicherer gegenüber früher geändert?

Berg: Nach meiner Einschätzung befindet sich die Transportversicherung an einem kritischen Punkt, weil unser Geschäft zunehmend von externen Faktoren beeinflusst wird. Wir kommen immer mehr weg von der klassischen Versicherungstechnik mit Schadenerfahrung und Exposure Rating. Die neuen Herausforderungen ergeben sich einerseits aus der rasanten technologischen Entwicklungen, mit denen wir konfrontiert sind, und andererseits aus dem Kapitalmarktumfeld.

Welche technologischen Herausforderungen meinen Sie konkret?

Berg: Da ist zum einen die zunehmende Digitalisierung der Prozesse in Schifffahrt und Logistik mit den damit verbundenen Cyber-Risiken. Das sind im wesentlichen drei Risikobereiche: Kommunikation und Datenübertragung zwischen Schiff und Land, Hafenlogistik und e-Navigation bzw. zukünftig autonom fahrende Schiffe. In allen Bereichen entsteht eine höhere Abhängigkeit von Datenflüssen, die dann auch von außen beeinflussbar sein können. Für die Versicherer stellt sich vor allem die Frage: Welche Szenarien der Schadenkumulation ergeben sich in Folge der Digitalisierung?

Die Fälle von Cyberkriminalität bzw. Cyber-Schäden im Transportbereich sind bislang überschaubar, richtig?

Berg: Ja, aber wir sind jetzt am dem Punkt, wo wir uns auf das Thema vorbereiten und dafür sensibilisieren müssen. In puncto Hafenlogistik gab es im vergangenen Jahr in Antwerpen einen großen Fall, bei dem sich Kriminelle in die Hafenverwaltung gehackt und dann systematisch Container mit illegaler Ware an den Kontrollen vorbeigeschleust hatten. Allerdings stecken für die Versicherer und Versicherungskunden auch Chancen in der Digitalisierung. Aufgrund der genaueren Verfolgbarkeit der Schiffs- und Containerbewegungen haben wir eine erweiterte und genauere Datengrundlage für die Prämienfindung. Wir können die Risiken noch besser verstehen.

An welche weiteren technologischen Umwälzungen denken Sie?

Berg: An die zunehmende Indienststellung der ultragroßen Containerschiffe von nun über 19.000TEU, auf denen riesige Warenwerte von 800 bis 900Mio. $ konzentriert werden. Das sind neue Grenzen, die die Schifffahrt austestet. Dabei haben wir 2013 bei der »MOL Comfort« erlebt, das es strukturelle Probleme in der Konstruktion der großen Schiffe geben kann. Bei einer schweren Havarie hätten wir ein gewaltiges Problem, weil es gar keine Schwimmkrane gibt, die groß genug sind, um Container von einem ultragroßen Schiff abzubergen. Wir reden hier von einer »Salvage Gap«, einer Lücke im Bergungssystem. Lassen Sie so eine Havarie in einer entlegenen Ecke der Welt passieren, wie bei dem Panamax-Schiff »Rena« vor Neuseeland – dort laden wir schon seit zweieinhalb Jahren Container vom Schiff, und das ist noch ein relativ kleines Schiff.

Müsste man das Schiffsgrößenwachstum aus Risikosicht nicht bremsen, wenn diese grundlegenden Themen ungelöst sind? Offenbar haben die Großreeder aber keine Probleme, ihre ultragroßen Schiffe zu versichern …

Berg: Wir sind als Versicherer ja nicht dazu da, immer nur den Finger warnend in den Wind zu halten. Wir wollen unsere Kunden begleiten, denn ohne Versicherungsdeckung wären viele neue Projekte aufgrund der Höhe der Investitionen gar nicht möglich.

Hier haben wir eine wichtige, positive Funktion für die Wirtschaft. Aber wir müssen die Risiken verstehen, unseren Kunden Risikomanagement anbieten und die Risiken adäquat bepreisen. Was die ungeklärten Fragen bei den ultragroßen Schiffen angeht, muss die Versicherungswirtschaft im engen Austausch mit den Reedern und der Bergungsindustrie bleiben, damit Lösungen gefunden werden. Das Problem ist, dass seitens der Bergungsindustrie hohe Investitionen erforderlich sind, um das nötige Equipment zur Verfügung zu stellen.

Aus dem Londoner Versicherungsmarkt heraus kam der Vorschlag, eine Containerabgabe in den Häfen einzuführen. Daraus soll dann neues großes Bergungsgerät mitfinanziert werden. Was halten Sie davon?

Berg: Es werden einige mögliche Varianten diskutiert, aber bislang stehen diese Diskussionen noch am Anfang. Als IUMI haben wir kein Modell, das wir favorisieren.

Wie sieht es mit der Größenentwicklung und Risikokumulation in anderen Bereichen aus?

Berg: Natürlich besorgen uns auch die riesigen Werte auf den großen Auto-Carriern. Wir erlebten das zu Jahresanfang mit der »Hoegh Osaka« vor Southampton, die auf Grund lief, aber sicher geborgen werden konnte. Für den Warentransportversicherer entsteht trotzdem ein hoher Schaden, auch wenn die Autos äußerlich scheinbar nicht beschädigt sind. Die Policen enthalten Markenschutzklauseln (Brand Protection), die es den Herstellern bei einem solchen Fall freistellen, ob sie die Produkte auf den Markt bringen oder zu Lasten der Versicherer verschrotten, etwa um Produkthaftungsprobleme zu vermeiden. Zusätzlich gibt es beiden großen Auto-Transportpolicen ebenfalls erhebliche Kumul-Risiken an Land. Bei dem Wirbelsturm Sandy 2012 in Nordamerika verzeichneten die Transportversicherer einen Schaden in Höhe von 650Mio. $ durch Überflutung eines Terminals in New Jersey, wo 16.000 fabrikneue Fahrzeuge und 3.000 neue Lkw als Totalschäden deklariert werden mussten.

Im Offshore-Energie-Bereich sehen wir, dass die Projekte extrem komplex werden. Die schwimmende Gasverflüssigungsanlage »Shell Prelude« hat einen Wert von 8Mrd. $, wovon 4Mrd. $ im Versicherungsmarkt platziert sind. Da gibt es sehr komplexe Ankersysteme mit elf Meilen Ankerketten. Oder nehmen Sie die neuen Installationen von schwimmenden Förder- und Lagerschiffen (FPSO) in der rauen Umgebung der Arktis. Da kommen ebenfalls ganz neue Technologien zum Einsatz, bei der die ganze Plattform umschlossen ist. Hier muss die Versicherungsindustrie Schritt halten mit dem rasanten technologischen Tempo der Industrie und aufpassen, dass sie nicht von der Entwicklung abgekoppelt wird.

Abgesehen von den technologischen Fragen dürfte den Versicherern auch die Lage an den Finanzmärkten weiterhin Sorge bereiten?

Berg: Das Niedrigzinsumfeld macht uns allen zu schaffen, weil wir auf der Investmentseite nicht mehr verdienen können. Gerade jetzt müssten also im technischen Underwriting Überschüsse erwirtschaftet werden. Wenn wir uns die Marktentwicklung für die gesamte Branche anschauen, ist das aber nicht unbedingt der Fall. Stattdessen sind die Prämienraten schon seit geraumer Zeit sehr weich. Seit ungefähr 2003 gibt es das zyklische Auf und Ab der Prämien kaum mehr. Die Zyklusausschläge sind verschwunden, und das Prämienniveau wird immer flacher. Es gibt weltweit mehr als genug Kapital, das nach Anlagemöglichkeiten sucht.

Auch durch die Regulierung – Stichwort Solvency II – und die strengeren Risikokapitalregime ergeben sich mitunter Verwerfungen für die Transportversicherung. Grundsätzlich gilt: Je stärker ein Versicherer diversifiziert ist, desto weniger Risikokapital muss er für eine bestimmte Sparte vorhalten. Das kann dazu führen, dass Gesellschaften beginnen, Transportversicherung zu zeichnen, nur im ihr Kapital in anderen Geschäftssegmenten zu entlasten. Da werden dann gegebenenfalls negative Margen akzeptiert, weil die Kapitaleffekte der Diversifikation die technischen Verluste aufwiegen.

Nochmal zurück zur Schifffahrt. Sehen Sie neben der Größenentwicklung auch genügend Innovationen im Bereich der Sicherheit?

Berg: Generell hat sich der Warenverkehr schon qualitativ extrem verbessert. Im Bereich Risikomanagement tut die Branche heute sehr viel mehr. Auch die Containerisierung hat vieles sicherer gemacht. Zudem ist die Zahl der Totalverluste in der Schifffahrt stark gesunken, das zeigt es doch ganz gut.

Wenn es aber zu einem Totalverlust kommt, können die Kosten gerade im Bereich der Haftung exorbitant sein. Das wurde im Fall des Kreuzfahrtschiffs »Costa Concordia« mit einer Gesamtschadenhöhe von rund 1,5Mrd. $ deutlich. Kostentreiber ist die Wrackbeseitigung …

Berg: Ja, wir sehen das durchaus mit großer Sorge. Es steht außer Frage, dass havarierte Schiffe bzw. Wracks so umweltschonend wie möglich beseitigt werden. Bei den hohen Deckungssummen von bis zu 3Mrd. $ pro Vorfall in der Schifffahrt können hier finanzielle Begehrlichkeiten geweckt werden. Es besteht die Gefahr, dass öffentlichen Stellen solche Havarien zum Teil nutzen, um ihr eigenes Profil zu schärfen. Da werden dann Maßnahmen gefordert, die in keinem vernünftigen Kosten-Nutzen-Verhältnis mehr stehen. Wir sind der Meinung: Überlasst die Wrackbeseitigung den Reedern und deren Versicherern mit Hilfe der großen Bergungsfirmen dieser Welt. Die Profis können das sehr gut erledigen.

In der Transportversicherung wie auch in der Schifffahrt findet seit Jahren eine Verlagerung Richtung Asien statt. Nun ist die IUMI nach wie vor eine stark europäisch geprägte Organisation. Wie wollen Sie als Verband dieser Entwicklung Rechnung tragen?

Berg: Wir haben den Fokus schon seit einiger Zeit stark auf Asien, aber auch auf Südamerika gerichtet. Dieses Jahr wird sich voraussichtlich der chinesische Versicherungsverband SIMI offiziell der IUMI anschließen. Außerdem gehen wir mit unserer jährlichen Konferenz 2017 wieder nach Fernost – nach Japan. Mit der Hong Kong Association of Insurers sind wir in einer engen Kooperation und wollen gemeinsam ein globales Ausbildungsprogramm entwickeln, um die Fachinhalte und Standards an die nächste Generation weitergeben zu können. Das wird in Kürze mit ersten Web­inars beginnen. Als IUMI versuchen wir, den Kontakt zwischen Branchenkollegen weltweit zu fördern. In den einzelnen Ländern gibt es bereits viele interessante Bildungsangebote zur Transportversicherung, die wir über die IUMI international ausrollen wollen.


Michael Hollmann