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Die Idee von der autonomen Schifffahrt wird langsam konkret. Das Advanced Autonomous Waterborne Applications Projekt (AAWA) will den nächsten Schritt in Richtung praktische Umsetzung unternehmen.

Viel wurde geforscht, präsentiert, von Befürwortern geträumt und von Kritikern abgewiegelt. Aber jetzt wollen die Projektbeteiligten von AAWA bis zum[ds_preview] Ende dieses Jahrzehnts das erste Schiff präsentieren, das die technische Machbarkeit unbemannter Hochseeschifffahrt demonstriert. Involviert sind Rolls-Royce, Inmarsat, DNV-GL, Deltamarin, NAPA, die Unis Turku, Aalto und Tampere, die Åbo Akademie sowie VTT. Zunächst geht es nun darum, die generelle Machbarbarkeit zu beweisen und zu ergründen, was nötig ist, um ein Schiff unbemannt fahren zu lassen. Außerdem verspricht sich Rolls-­Royce-Projektmanager Esa Jokioinen Spin-off-Produkte. Technisch ist der Fall für die Beteiligten klar: Sämtliche Technologien existieren bereits. Die Aufgabe bestehe nun darin, diese zuverlässig und kostengünstig zu kombinieren.

Damit die Schiffssysteme jederzeit ihre Umgebung wahrnehmen können – Real Time Situational Awareness – sind Sensoren nötig. Dabei darf man sich allerdings nicht auf nur eine Technik für alle Bedingungen verlassen, erklärt Jonne Poikonen, Senior Research Fellow der Universität Turku. So sollen die Stärken und Schwächen verschiedener Sensoren genutzt, bzw. ausgeglichen werden. Hochauflösende visuelle Kameras sind mittlerweile billig und liefern gute Ergebnisse bei der Identifizierung von Objekten, solange die Lichtverhältnisse stimmen. In der Dunkelheit könnten Infrarotkameras zum Einsatz kommen, die aber noch teuer sind und nur eine begrenzte Auflösung haben. Das nennt Poikonen passive Technologie. Daneben kann aktive Technologie eingesetzt werden wie Fern- und Nahbereichs-Radar sowie Lidar (Light detection and ranging), eine dem Radar ähnliche Technik, die Laserstrahlen anstelle von Radiowellen nutzt. Letztere will das AAWA-Projekt künftig noch genauer auf ihre Einsatzmöglichkeiten untersuchen.

Zusammen mit GPS, elektronischen Seekarten und Wetterdaten soll ein unbemannter und kollisionsfreier Schiffsbetrieb möglich sein. Hier könne man noch eine Menge aus dem Automobilbereich lernen, mein Poikonen. Die Situational-Awareness-Systeme könnten außerdem zur umfassenden globalen Kartierung beitragen, indem jedes entdeckte Hindernis in einem »Modell der Welt« verzeichnet würde. Die besondere Herausforderung sei dabei die sich ständig verändernde Umgebung.

Als großer Schritt wird das neue Satellitennetzwerk Global Xpress von Inmarsat gewertet, mit dem erstmals weltweit Breitbanddatenverbindungen auch auf hoher See möglich sind. Da es immer passieren kann, dass die Verbindungsqualität je nach Wetter, Ort oder Verkehrsdichte abnimmt und man z.B. auf 1-Bit-Bildübertragung (Konturen in Schwarzweiß) zurückgreifen muss, kann ggf. auch dem »Remote Operator« an Land die Interpretation des Gesehenen überlassen werden.

Mit Finferries und der Drybulk-Reederei ESL Shipping konnten bereits die ersten kommerziellen Schifffahrtspartner gewonnen werden. Finferries wird das AAWA-Projekt unterstützen, indem es auf seiner 65m langen Doppelendfähre »Stella« Sensoren installieren lässt. Beim Fährbetrieb zwischen Korpo und Houtskär sollen der Betrieb und die Funktion unter schwierigen klimatischen Bedingungen getestet werden. Mit ESL werden die Voraussetzungen im Shortsea-Cargobereich erprobt. ESL-Geschäftsführer Mikki Koskinen glaubt an die positiven Effekte für die Schifffahrt. »Mit der Beteiligung bei AAWA bekommen wir außerdem schon früh einen Einblick in die bevorstehende Transformation unserer Branche.«

Autonom oder ferngesteuert?

In der Schifffahrt wird es zur vollständigen Autonomie wohl nicht kommen, eher zu einer Koexistenz der beiden Konzepte Autonomie und Fernsteuerung. »Dynamic Autonomy« nennt es Projektmanager Esa Jokioinen. Für jede Fahrt oder jeden Abschnitt einer Fahrt müsste eine Autonomiestufe festgelegt werden, d.h. wie selbständig und ohne Rückfragen an die Leitzentrale ein Schiff fahren darf. Bei Unwetterfronten, dichtem Verkehr oder in Hafeneinfahrten könnte so letztlich die Entscheidungsgewalt oder Kontrolle an den Operator fallen. Zusätzlich bräuchte es immer auch eine Ersatzstrategie für den Fall, dass etwas passiert oder das autonome Schiff in Situationen kommt, die es nicht entscheiden darf und in denen menschliche Unterstützung nicht möglich ist.

Was Anlegevorgänge und das Festmachen betrifft, wird es wohl für unbemannte Schiffe zunächst auf Handarbeit und Taue hinauslaufen. Langfristig sind aber auch hier neue Systeme denkbar, die solche Aufgaben automatisieren könnten. Soweit die Technik. Die vielleicht härteste Nuss, die bei der ganzen Geschichte zu knacken ist, stellt die Gesetzesebene dar. Hier ist noch nichts geklärt, weder auf internationaler Ebene, noch was die nötigen Regelungsänderungen bei Flaggen-, Küsten-, und Hafenstaaten und Versicherungen angeht.

Welche Anreize gibt es?

Weil es ökonomisch sinnvoll sei, sollte und werde man den Weg der unbemannten Schifffahrt beschreiten, meint Oskar Levander, bei Rolls-Royce Vice President Innovation, Engineering & Technology, und zählt auf: »Die Besatzungskosten werden verringert, gleichzeitig der Platzbedarf für die Unterbringung der Mannschaft an Bord. Das wirkt sich schon bei den Baukosten deutlich aus. Außerdem verringert sich das Gewicht das Schiffs, das spart einerseits Kraftstoff, andererseits kann mehr Ladung aufgenommen werden.« Insgesamt würden solche Schiffe schon in der Anschaffung billiger.

Als Vorstufe seiner Vision sieht Levander die Digitalisierung, die sogenannte Industrie 4.0, in der maritimen Branche »ship intelligence« genannt. Sensorik, Datenerfassung und Verarbeitung erlauben heute Condition Monitoring und Condition Based Maintenance, Optimierung und Unterstützung der Crew bei Entscheidungen. Von Energieeinsparungen bei einzelnen Schiffen kam ist heute bei derOptimierung des gessamten Flottenbetriebs. »Total Assessment« sei heute das Schlüsselwort für Schiffsmanager, sagt Levander. Im Hinblick auf diese Art der Optimierung geht er auch von weiteren Konsolidierungsbewegungen aus. Die Vorteile ließen sich am besten von großen Unternehmen nutzen. Außerdem sieht er ganz neue Mitspieler kommen. So werde es »digitale Allianzen« geben, Unternehmen, die ohne eigene Flotte funktionieren, wie z.B. der Taxivermittlungsdienst Uber.

2015 wurde die Phase der Projektdefinition abgeschlossen. 2016 und 2017 sind für die Machbarkeitsstudien und Forschung vorgesehen, ab 2018 soll es an die »Proof of Concepts« gehen. »Wir stehen an der Schwelle zu einer neuen Ära«, formuliert es Oskar Levander abschließend noch einmal mit dem ihm eigenen Enthusiasmus. »Die autonome Schifffahrt ist etwas, das kommen wird, das ist die Zukunft«, ist auch Mikael Makinen, President Marine bei Rolls-Royce, überzeugt.

Felix Selzer