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Aus dem Flugzeug- und Automobilbau ist Textil nicht mehr wegzudenken – zu groß ist der Leichtbauvorteil gegenüber Metall. Auch im Schiffbau nehmen faserverstärkte Kunststoffe Fahrt auf, ohne sie dreht sich kein Offshore-Windrad. Ein weiterer Aspekt macht sie für maritime Anwendungen interessant: ihre Leitfähigkeit
Im Frühsommer ließ der Installationskünstler Christo einen 3km langen Flanierweg aus 200.000 schwimmenden Würfeln auf dem norditalienischen Iseosee zu Wasser[ds_preview]. Das optische Zentrum des Projekts bildete ein über die Würfel gespanntes, gelb-orangefarbenes Polyamidgewebe; darunter sorgte ein haftender Vliesstoff für die Trittsicherheit der 1,2Mio. Besucher. Zwei Textilunternehmen aus Nordrhein-Westfalen hatten den Stoff für das faserbasierte Kunstprojekt geliefert. Fasern und Wasser – eine Kombination, die längst nicht mehr nur ästhetische Qualität hat, wie ein Blick nach Norwegen zeigt.

Dort lieferte unlängst die Bootswerft Brødrene Aa die »Vision of the Fjords« aus. Das 40m lange Ausflugsboot soll bis zu 400 Personen über den 17km langen Naeroyfjord fahren, der zum UNESCO-Weltnaturerbe zählt. Weil mit diesem Siegel Verpflichtungen wie der Schutz vor Umweltverschmutzung einhergehen, ist die Bauweise des Schiffes als Hybridelektro-Carbonfaser-Katamaran von besonderer Bedeutung. »Unsere Kunden verbrauchen mit unseren leichten Carbon-Schiffen bis zu 40% weniger Kraftstoff gegenüber Modellen aus Aluminium«, sagt Brødrene-Geschäftsführer Tor Øyvind Aa. »Das ist natürlich viel umweltfreundlicher.« Über 50 Schiffe und Fähren aus Carbon hätten die Werft in Hyen mittlerweile verlassen. Laut Oyvin, der sein Fasermaterial auch von einem großen Gelegehersteller aus Deutschland bezieht, sind bereits über 60% der neuen Schnellfähren-Generation im Land carbonfaserverstärkt unterwegs.

Brennstoffkosten, auch in der Schifffahrt der größte Kostenblock, und Umweltauflagen (ab 2018 sollen alle größeren Schiffe, die EU-Häfen anlaufen, ihren CO2-Ausstoß überwachen) – der Sound des Déjà-vu? Schon beim Flugzeug hieß es: Wie Kraftstoff sparen? Durch Gewichtsreduktion. Wie Gewicht sparen? Durch leichtere Materialien. Kommt nach dem Airbus-Seitenruder nun der Schiffspropeller aus Carbon? Zumindest die Bundesregierung verteilt für die Suche nach alternativen Materialien schon mal Hausaufgaben. Im vierten Bericht zur Entwicklung und zu den Perspektiven der maritimen Wirtschaft in Deutschland aus dem Jahr 2015 heißt es: »Die signifikante Reduzierung aller schiffsseitigen Emissionen gehört zu den Prioritäten der Forschungsförderung. Schadstoffärmere […] Komponenten müssen entwickelt und angepasst werden […] Der Einsatz neuer Materialien sowie die konsequente Einbeziehung der gesamten Lebenszykluskosten für maritime Produkte bilden künftige Schlüsselbereiche.«

Zurück zum Schiffspropeller aus Carbon. Eines seiner Blätter liegt als Prototyp bereits im Faserinstitut Bremen (FIBRE), das im Faserverbundleichtbau unter anderem mit Airbus zusammenarbeitet. Im Rahmen eines EU-Forschungsprojekts entwickelten FIBRE-Forscher mit Industriepartnern ein Carbon-Propellerblatt als Alternative für wartungsintensive Bronzepropeller in Minensuchbooten. »Wir befassen uns schon lange damit, Hochleistungs-Faserverbundwerkstoffe in die Luft zu bekommen – nun wollen wir es auch im Wasser versuchen«, sagt FIBRE-Wissenschaftler Arne Breede. Für die Umstellung auf ein neues Material sei zunächst ein sicherer und vorhersagbarer Herstellungsprozess nötig, darauf liege aktuell der Forschungsfokus.

Faserbasierte Überwachung

Um Vorhersagbarkeit ging es auch in einem anderen Textilforschungsprojekt, dessen Ergebnisse vor allem für den Offshore-Bereich bedeutsam sein könnten. Forscher des Instituts für Textilmaschinen und Textile Hochleistungswerkstofftechnik (ITM) der TU Dresden hatten in Kooperation mit dem Rotorblatthersteller Carbon Rotec aus Lemwerder bei Bremen den Nachweis erbracht, dass sich der Ist-Zustand von Rotorblättern mit textiler Sensorik überwachen lässt. Dabei machten sich die Textilforscher zunutze, dass Rotorblätter aus geschichteten und mit Harz verklebten Lagen glas- oder carbonfaserverstärkten Kunststoffs bestehen. Nur damit lässt sich die komplexe Geometrie für eine optimale Windausbeute ins Blatt bekommen.

Weil die zyklischen Belastungen durch Wind zu Schäden führen können, wurde während des zweijährigen Forschungsprojekts bis 2015 ein Verfahren entwickelt, mit dem sich Dehnungssensoren schon während der Herstellung in die Fasergelege einbringen lassen. Sie sollen das Rotorblatt fortwährend auf Materialermüdung und Verschleiß prüfen. »Unser Ziel ist es, Windkraftanlagen ausfall- und wartungsunabhängiger zu machen, um kosten- und zeitintensive Stillstände zur Rotorblattprüfung zu vermeiden«, sagt ITM-Forscher Eric Häntzsche.

Auch der Industriepartner zeigt sich zufrieden: »Fertigungstechnisch sehen wir es als machbar an, allerdings bedarf es weiterer Forschung«, sagt Thomas Schmidt von Carbon Rotec. Bei Siemens, einem der größten Offshore-Windenergieanlagen-Hersteller, heißt es zur textilen Rotorblatt-Sensorik: »Bei uns aktuell kein Forschungsthema«. Prinzipiell sei der fasersensorische Ansatz jedoch interessant, etwa für Belastungstests bei der Entwicklung von Rotorblättern, so ein Sprecher des Unternehmens.

Weil forschungs- und entwicklungsseitig inzwischen mehr Lösungen angeschoben werden, als Konstrukteure und Werkstoffspezialisten in den Zielsparten faserbasierter Bauteile überblicken können, gewinnen auch Textilmessen für den Ideentransfer in die Praxis an Bedeutung. Auf Anfrage heißt es beim Management der Techtextil, Weltleitmesse für technische Textilien und Vliesstoffe, man rechne mit Blick auf die Veranstaltung im nächsten Jahr in Frankfurt/Main mit »deutlich mehr Fachbesuchern aus den Bereichen maritime Wirtschaft und Windkraft«. Ein zweistelliger Aufwuchs ist laut Techtextil-Leiter Michael Jänecke realistisch, denn neben textilen Herstellern, Verarbeitern und Zulieferern kämen verstärkt auch Vertreter der Anwenderbranchen auf die Messe, um sich über textile Neuentwicklungen und Alternativen zu traditionellen Materialien zu informieren. Anfang des Jahres war zudem das Anwenderforum »Smart Textiles« mit über 160 Wissenschaftlern und Unternehmern aus acht Ländern zu Gast auf der Meyer Werft in Papenburg. Ansatz des Forums laut der Veranstalter: Symbolisch dorthin gehen, wo faserbasierte Materialien künftig in Größenordnungen zum Einsatz kommen könnten.

Autor: Ronny Eckert, freier Journalist

aktuell@innomedia-berlin.de


Ronny Eckert