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Der »schlafende Riese« will nicht erwachen. In kaum einer Region wird die vergleichs­weise starke Abhängigkeit der Mehrzweck- und Schwer­gutschifffahrt von politischen Grundsatzent-scheidungen so deutlich wie in Afrika. Eine differenzierte Betrachtung von Michael Meyer

Die Exportindustrie muss einen langen Atem haben – sagt Robert Kappel vom German Institute of Global and Area Studies (GIGA) mit[ds_preview] Blick auf Afrika. Es geht um die schleppende Industrialisierung, die Folgen für die Entwicklung und den Einfluss Chinas. Damit ist auch das Kernproblem für die MPP/HL-Schifffahrt genannt.

Am Institut für Afrika-Studien erwartet man kurzfristig keine großen Impulse für die Branche. Vor allem nicht, wenn es um Verschiffungen aus Europa und Amerika geht. Profitieren würde zunächst die chinesische Staatswirtschaft.

Kappel differenziert in zweifacher Hinsicht: zwischen Staaten, deren Wirtschaft stark oder gar nicht von der Rohstoff-, also Ölbranche abhängig sind, und zwischen der Konsumgüter- und der Schwerindustrie. Prinzipiell sieht der Afrikaexperte durchaus Chancen für eine kurzfristig positive Entwicklung – allerdings vor allem in den nicht vom Öl abhängigen Ländern. In Afrika gebe es 54 Länder, die seien zum Teil sehr verschieden. »Die ›Rohstoffländer‹ hängen stark am Ölpreis und da hapert es gewaltig«, so Kappel.

Sollte sich der Preis signifikant erhöhen, dürften nach Meinung der allermeisten Experten auch wieder verstärkt Projekte aus der Öl- & Gasindustrie initiiert werden. Bis dahin liegen für die Mehrzweck- und Schwergutschifffahrt die größten Potenziale wohl in Minen-, Schienen, Straßen- und Hafenprojekten.

Der Preis für das »schwarze Gold« verharrt noch immer auf einem niedrigen Niveau von zuletzt 50 bis 55$ pro Barrel der Benchmark-Sorte Brent. Auch die Entscheidung der Erdöl-exportierenden Staaten (OPEC) im vergangenen Jahr, die Förderung zu drosseln und damit das Angebot künstlich zu verknappen, hat keinen signifikanten Preisanstieg bewirkt. Eine globale Ungewissheit beherrscht den Markt.

Schwer vorhersehbar sind daher Maßnahmen vor allem aus Russland, dem Iran – nach dem Auflockern der US-Sanktionen – und den USA. Nach der Wahl von Donald Trump ist noch immer nicht klar, wie sich seine protektionistische und die heimische Ölindustrie unterstützende Politik auswirkt – und wohin die erneut aufkommenden Spannungen im Verhältnis zum Iran führen. Zudem schreckt auch die Herrscherfamilie der Ölgroßmacht Saudi-Arabien nicht vor drastischen Maßnahmen zurück, um die eigene Wirtschaft aus innenpolitischen Erwägungen zu stimulieren.

Das alles erzeugt eine eher düstere Aussicht für Afrikas ölreiche Länder wie vor allem Nigeria – gemeinsam mit Südafrika noch immer für 50% des gesamten afrikanischen Bruttosozialprodukts verantwortlich. In Nigeria gibt es eine lähmende Stagnation. Südafrika profitiert zwar noch von Investitionen, politische Instabilität und Korruption erzeugen jedoch verstärkt Unsicherheiten bei ausländischen Investoren.

Der Internationale Währungsfonds (IWF) prognostiziert für 2017 ein globales Wirtschaftswachstum von 3,4%, für 2018 sind es 3,6%. In Afrika belaufen sich die Prognosen auf 1,6% im Norden, 4,5% im Westen, 2,3% in Zentralafrika, 4,9% in Ostafrika und 2,7% im südlichen Afrika.

Ein Gradmesser für die wirtschaftliche Entwicklung eines Landes der sogenannten Zweiten oder Dritten Welt ist seit jeher die Summe der ausländischen Direktinvestitionen (FDI). Für 2016 meldete die Handelskonferenz der Vereinten Nationen (UNCTAD) für Afrika einen FDI-Rückgang um 5% auf 51Mrd. $. Der Wert der wichtigen »Greenfield«-Projekte, die im vergangenen Jahr angekündigt wurden, wuchs allerdings um 52% auf 103Mrd. $, weltweit konstatiert die Uno ein Plus von 5% auf 810Mrd. $.

Generell sieht Analyst Kappel für Länder ohne Rohstoffvorkommen steigende FDI-Tendenzen. Das hat Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum: »In diesem und den kommenden zwei Jahren ist ein Wachstum von 4 bis 5% durchaus wahrscheinlich – man sollte jedoch bedenken, dass es von einem sehr niedrigen Niveau kommt.«

Eine »gute Entwicklung« und eine gewisse Industrialisierung beobachtet er in Staaten wie Ghana, Senegal, Tansania, Kenia, Äthiopien, Namibia, Mauritius oder der Elfenbeinküste, weil die sich nicht auf die Ölwirtschaft stützen (können) und andere Branchen vorantreiben. Seit der Finanzkrise verzeichneten diese Länder rund 4 bis 6% Wachstum.

In Nordafrika sticht vor allem Ägypten hervor. Nach Jahren großer Unruhen ist eine gewisse Stabilität eingekehrt – allerdings auf Kosten der Demokratie und nur durch ein repressives Militärregime. »Viele FDI fließen dorthin, Ägypten gehört zu den wirtschaftlichen Schwergewichten in Afrika, auch wenn es in der Gesellschaft nach wie vor brodelt. Handel und Industrieproduktion nehmen zu und es gibt einen echten Mittelstand«, sagt Kappel.

Marokko an der Nordwestküste des Kontinents bescheinigt er zwar eine derzeit gute Entwicklung mit Industrialisierung und eine durch einen starken Bezug zu Europa bedingte Modernisierung. »Allerdings hat das Land eine hohe Arbeitslosigkeit und ist nicht so stabil wie viele meinen.«

Der Mittelstand fehle etwa in Tunesien, das ebenfalls trotz einer unruhigen politischen Lage viele FDI anziehe. Der allergrößte Teil der Tunesier arbeite in Kleinstunternehmen. Nach Ansicht des Afrika-Experten wird sich erst dann eine neue, gesamtwirtschaftliche Dynamik entwickeln, wenn es einen Mittelstand als Zulieferer für die mehrheitlich ausländischen Großkonzerne gibt. Insgesamt bewertet er die Entwicklung in Nordafrika – abgesehen vom Bürgerkriegsland Libyen – als nicht schlecht.

Zudem bilde sich immer mehr eine afrikanische Mittelschicht heraus. Während viele ländliche Regionen noch immer abgehängt sind, beobachtet er eine zunehmende städtische Agglomeration, beispielsweise in Nairobi, Lagos, Casablanca, Kapstadt, Johannesburg und Addis Abeba. In den Städten entstünden Konsummärkte, die Investoren anziehen. Industrie und Dienstleistungszentren entwickelten sich. Die Urbanisierung wird laut einem Deloitte-Bericht auch zu verstärkten Investitionen in den neuen Mega-Cities führen.

Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft berichtete jüngst in einer Afrika-Analyse von einem Rückgang großer Bau- und Infrastrukturprojekte – die Anzahl sackte um 5% auf 286 ab, deren Wert sogar um 14% auf 324Mrd. $. Als Grund werden vor allem das makroökonomische Umwelt, also die Weltwirtschaft, und die rückläufigen Rohstoffpreise genannt. Mit 92 Projekten entfällt der größte Teil auf Westafrika, wo es ein kleines Wachstum gab. Noch immer vereint Nigeria dort die meisten Projekte auf sich. Der Norden sah mit 42 Projekten sogar ein Plus von 44,8%, dank der positiven Entwicklung, nachdem sich die Auswirkungen des »Arabischen Frühlings« etwas gelegt haben. Im Osten und Süden gab es hingegen Rückgänge, in Zentralafrika aufgrund zweier auf Eis gelegter Minenprojekte gar einen Wertverlust von 80%, davon betroffen sind auch große Schienen- und Hafenprojekte. Den größten Teil machen die Segmente »Transport« (33,6%), stark zunehmend »Immobilien« (22,4%), »Energiewirtschaft« (21%) und mit Abstrichen »Schifffahrt & Häfen« (8,4%) aus.

Ein Problem ist allerdings, dass rund drei Viertel aller Bauprojekte in Afrika den jeweiligen Regierungen gehören oder von ihnen initiiert wurden. Die Effizienz der Behörden lässt jedoch zu wünschen übrig, so dass sich viele Projekte verzögern oder ausfallen, was zu weiterer Unsicherheit für den Transportbedarf führt.

Das erhoffte, ganz große Projektvolumen – das auch weniger anfällig gegen die negativen Effekte durch die Containerisierung von Ladungen wäre – ist noch immer nicht erreicht und kurzfristig auch nicht in Sicht. Vielmehr geht es zumeist um Breakbulk-Transporte, die von einigen Carriern in Liniendiensten bedient werden (Beispiele S. 42-45)

Kappel betont, dass es auch heute noch viele Investitionen in den Rohstoffsektor Afrikas gebe. Und zwar nicht nur von China, dessen Rolle oft überschätzt werde: »Europäer sind bei weitem die wichtigsten Akteure, was die Bestandsinvestitionen angeht. China liegt mit 17Mrd. $ weit hinter Frankreich mit 66Mrd. $ oder Großbritannien mit 65 Mrd $.« Andererseits sei die Volksrepublik mittlerweile der wichtigste Handelspartner Afrikas, vor allem für »kleinere« Haushalts- und Konsumgüter wie Fahrräder, Lebensmittel oder T-Shirts, weil diese in Europa gar nicht mehr wettbewerbsfähig produziert würden.

Die Bestandsinvestitionen können allerdings nicht über die enorme Rolle Chinas hinwegtäuschen, die in den vergangenen Jahren noch gewachsen sei. Von der zig-milliardenschweren Infrastrukturinitiative »One Belt One Road« – die insgesamt ein Hoffnungsträger für die gesamte Projektschifffahrt ist – profitiert unter anderem auch Afrika durch neue Schienenverbindungen oder Investitionen in Häfen wie in Lomé, Walvis Bay, Tema, Dar es Salaam oder Luanda (HANSA 01/2017). Laut dem Deloitte-Bericht bauen chinesische Firmen 22,4% der Projekte auf dem Kontinent.

Die Weltgemeinschaft tut sich insgesamt vergleichsweise schwer, das Thema Afrika stärker in den Vordergrund zu rücken. Das gilt auch für die Gruppe der 20 stärksten Industrie- und Schwellenländer (G20) – obwohl China dort ebenfalls Mitglied ist. Auf dem jüngsten Treffen der G20-Finanzminister sollte eigentlich eine stärkere Investitionspartnerschaft für Afrika initiiert werden, auch für die dortige Infrastruktur. Sie fand zwar auch Eingang in den Abschlussbericht. Allerdings wurde das gesamte Treffen und damit auch das Engagement für Afrika stark von Diskussionen über die künftige US-Handelspolitik geprägt, so dass alles andere in den Hintergrund rückte.

Es gibt jedoch auch eine andere Sichtweise: Auf der »T20 Afrika Konferenz« in Vorbereitung des G20-Treffens in Hamburg im Juli gingen die Organisatoren – das Kieler Weltwirtschaftsinstitut, das Deutsche Institut für Entwicklungspolitik und Südafrikas Institut für Internationale Beziehungen – mit einem Seitenhieb in die Offensive: Der Bedarf an Infrastrukturinvestitionen sei in Afrika weit höher als anderswo, die internationale Gemeinschaft solle darauf mit »High Quality«-Angeboten reagieren. Auf 50Mrd. $ wurde die jährliche Lücke an Infrastruktur-Finanzierungen in Afrika beziffert. »Nicht-Beteiligung« sei für die G20 keine Option, hieß es im Abschlusskommuniqué.

China ist ungeachtet dessen der große Gewinner in Afrika, investiert über die große Schar an Staatsunternehmen Unsummen in die Infrastruktur, baut Häfen, Brücken oder Straßen. Im Gegenzug sichert sich das Land afrikanische Rohstoffe, die es dringend für die wachsende Bevölkerung und deren Bedürfnisse benötigt. Im Geschäft mit afrikanischen Regierungen und Behörden sind derartige Vereinbarungen nicht unüblich, europäische Geldgeber scheuen diesen Weg eher, weil sie zum einen oft sektorspezifisch arbeiten und zum anderen die Verbindung zu staatlichen Stellen nicht derart ausgeprägt ist wie im Reich der Mitte.

Selbst wenn es künftig größere Initiativen geben sollte: Bei westlichen Akteuren spielen Compliance- und Monitoring-Aspekte eine größere Rolle, deren Umsetzung in Afrika laut Marktbeobachtern eine untergeordnete Rolle einnimmt und die für die Abwicklung von Geschäften eher hinderlich ist. Das hat Folgen. »Es ist interessant zu beobachten, dass es mit dem Engagement der Staatsunternehmen einen klaren Trend chinesischer Privatunternehmen gibt, nach Afrika zu gehen. Das wird sich fortsetzen«, sagt Kappel.

An die Infrastrukturinvestitionen Pekings sind nicht selten auch die Lieferungen chinesischer Industriegüter, Maschinen und Anlagen gekoppelt. Das wäre prinzipiell eine gute Sache für die MPP/HL-Schifffahrt. Beim GIGA geht man von einer leicht steigenden Transportnachfrage aus. Allerdings geht es vorrangig um Produkte aus China und nicht aus Europa oder Nordamerika. Und im China-Afrika-Verkehr dominieren chinesische Reedereien wie COSCO. Von den tatsächlich gebuchten Projektladungen entfällt ein nicht unerheblicher Teil auf chinesische Reedereien. Einen starken Anteil an den Investitionen nimmt China vor allem in Ost-, West- und Zentralafrika ein. In der Branche herrscht mehr oder minder einhellig die Meinung vor, dass die Staatsreederei bei Transporten für die Aufträge von Staatsunternehmen bevorzugt behandelt wird – auch wenn sich die meisten damit nicht zitieren lassen wollen. COSCO selbst streitet eine Struktur à la »China Inc.« ab und verweist auf den regulären Wettbewerb, in dem man sich wie alle anderen behaupten müsse.

Chinas Einfluss hin oder her, Kappel und seine Kollegen sehen durchaus auch positive Tendenzen, die der europäischen Industrie und damit auch deren Partnern in der MPP/HL-Schifffahrt helfen könnten – wenn auch nicht kurzfristig, vielleicht sogar noch nicht einmal mittelfristig.

Zum einen ist nach Ansicht des GIGA eine gewisse Industrialisierung und Modernisierung zu beobachten, vor allem in den »Nicht-Rohstoff«-Ländern. Es bilden sich Industrien, unter anderem in der Nahrungsmittel-, Textil- und Baubranche. »Das nimmt zu«, sagt Kappel. Man könne einen Aufbau von Infrastruktur, Industriezonenn und Elektrizität beobachten.

Zum anderen folgt auf diese langsame Industrialisierung eine steigende Nachfrage nach qualitativ höherwertigen Produkten aus Europa. Nach dem Aufbau von Grundlagen durch China könnten die Europäer demnach wieder als bevorzugter Handelspartner zurückkommen, nicht nur für Konsum, sondern auch für große Industriegüter und Projektverschiffungen.

Das ist in der Schifffahrt zwar eher für die Containerbranche ausschlagegebend. Allerdings könnten in einem optimistischen Szenario auf derartige Entwicklungen auch stärkere Investitionen in Infrastrukturen folgen, wofür wiederum Schwergut- und Projektimporte nötig sind. »Die Nachfrage ist noch nicht hoch, aber perspektivisch wachsend«, so der Experte, der allerdings einschränkt, dass diese Perspektive sich auf einige Jahre oder sogar noch mehr bezieht.
Michael Meyer