Print Friendly, PDF & Email

Weil die Militärs der Piraten vor Westafrika noch immer nicht Herr werden, soll es nun eine »soft power« richten: Das neue EU-Projekt »Gogin« setzt auf die Macht des Informationsaustausches und Training. Einen Versuch könnte es wert sein – auch wenn das Konzept noch altbekannte Lücken hat. Von Michael Meyer

Das »Golf of Guinea Interregional Network« (Gogin) soll die Kooperation zwischen 19 Küstenstaaten von Senegal bis Angola – mit einer gesamten[ds_preview] Küstenlänge von mehr als 6.000km – sowie regionalen Sicherheitszentren unterstützen. Gemeinsame Planungen, Koordination, Kommunikation und IT-Infrastruktur werden entwickelt. Es ist Teil des EU-Programms »Critical Maritime Routes«, das global ausgerichtet ist und bereits Initiativen in Südostasien und Ostafrika gestartet hat.

Gogin-Leiter Vize-Admiral Jean-Pierre La­bonne erläutert im Gespräch mit der HANSA: »Gogin profitiert von den Erfahrungen, unter anderem beim Informationsaustausch und bei Ausbildungsmaßnahmen. Das Besondere daran ist allerdings, dass die afrikanischen Partner selbst ein Konzept aufgebaut haben, die »Yaoundé-Architektur«, deren Umsetzung wir unterstützen wollen.«

Angelegt auf vier Jahre, hat Gogin ein Budget von 9,2Mio. €. Die afrikanischen Staaten stellen keine weiteren Gelder zur Verfügung, sie beteiligen sich lediglich dadurch, dass sie die nationalen Vertreter für Ausbildungsmaßnahmen sowie die Infrastruktur zur Verfügung stellen. Labonne hält das dennoch für »unverzichtbar und unschätzbar«. Allerdings macht er auch die Erwartungen deutlich: »Am Ende des Tages soll es ein afrikanisches Projekt mit EU-Unterstützung werden, kein EU-Projekt zu Afrikas Nutzen. Wir wollen, dass sich die Teilnehmerländer des Projekts vollständig annehmen.«

Der Experte zieht für die Begründung des Projekts einen Bogen von der maritimen Sicherheit bis zu möglichen Flüchtlingsströmen nach Europa: »Die Bedrohungen im Golf von Guinea – Piraterie, bewaffnete Überfälle, Schmuggel von Menschen, Drogen, Holz, Waffen und Müll, illegale Fischerei, Öldiebstahl – verursachen immense Kosten für die Ökonomien in West- und Zentralafrika. Das hat einen negativen Effekt auf die Bevölkerung vor Ort – und das wiederum könnte Auswirkungen auf die Sicherheitsinteressen Europas haben.«

Die Situation im Golf von Guinea ist nach wie vor unbefriedigend. Die NGO Oceans Beyond Piracy (OBP) meldet für 2016 95 Pirateriefälle in Westafrika – im Vergleich zu 2015 mit 54 Attacken eine deutliche Steigerung. Zwei Drittel der Überfälle fanden vor Nigeria statt. Bemerkenswert ist die Verschiebung von Öldiebstählen – die zuvor stets den Großteil ausgemacht hatten – auf Entführungen. So stieg die Zahl der als Geiseln genommenen Seeleute von 44 auf 96. Allein zwischen Januar und Mai dieses Jahres wurden weitere 31 Besatzungsmitglieder verschleppt.

Zentraler Bestandteil von Gogin ist der Austausch von Informationen, der laut Labonne operative Planungen, Notfallreaktionen, Statistiken und strategische Analysen umfasst. Behördliche und private Vertreter sollen über sichere Kanäle einbezogen werden. Allerdings entscheiden alle Beteiligten selbst, welche Informationen sie teilen, daher werde es eine »schrittweise Entwicklung«, so der Leiter. Insgesamt attestiert er der Region ein »wachsendes Bewusstsein für die Notwendigkeit grenzüberschreitender Kooperation«.

Zwar werden zum Teil schon gewisse Informationen geteilt. Allerdings belaufen sich die Ausgaben dafür auf lediglich 2,6Mio. $ – von insgesamt 793,7Mio. $, die in Westafrika 2016 auf die Bekämpfung der Piraterie entfielen.

Die größte Hürde für mehr Sicherheit im Golf von Guinea ist bekanntermaßen Nigeria: Öldiebstahl, Rebellengruppen, Überfälle, Korruption – die Probleme sind genauso groß wie altbekannt. Ein Großteil der Überfälle auf See geht auf nigerianische Piraten zurück. Der Erfolg von Gogin hängt also zu einem großen Teil davon ab, ob Nigeria mitzieht. Bislang verweigerten sich die Regierungen in Abuja allerdings stets ausländischer Einmischung. Labonne ist optimistisch: »Wir sehen ermutigende Signale aus Nigeria. Das Land ist ein aktiver Teilnehmer«, sagt er ohne weitere Details zu nennen. Für Aufsehen sorgte zuletzt ein hoher Vertreter der nigerianischen Marine, als er im Mai die Region zu mehr Kooperation aufrief.

Laut Labonne untermauert Gogin den Yaoundé-Prozess, indem es bestehende nationale und multinationale Sicherheitszentren verbindet, koordiniert durch zwei regionale Stützpunkte in Abidjan und Pointe Noire und multinationale Zentren in Praia, Accra, Cotonou, Douala und Luanda. An der Spitze steht ein interregionales Zentrum in Yaoundé. Wir nennen das die »Yaoundé-Architektur«. Der interregionale Netzwerkgedanke hebe sich von allem ab, was es bisher auf dem Kontinent gebe. Mindestens »unglücklich« ist allerdings, dass keines der supranationalen Zentren in Nigeria stationiert ist – dem absoluten Hotspot der Region.

»Wichtig ist die Feststellung, dass es keine Pyramide ist, in der Infos von unten nach oben gereicht werden und dort eine Entscheidung gefällt wird. Es ist ein Netzwerk, in dem Daten und Analysen alle Ebenen durchdringen und in dem Entscheidungen an einer passenden Stelle gefällt werden.«

Fraglich ist jedoch, meinen Kritiker, inwieweit die Behörden bereit sind, Daten preiszugeben. Diese Situation ist nicht neu, allerdings nicht auf Afrika beschränkt – Stichwort »internationale Terrorismusbekämpfung«.

Ob sich der Verzicht auf eine zentrale Entscheidungsinstanz zugunsten größtmöglicher Souveränität auszahlt, wird sich jedoch erst zeigen müssen. Zumindest in Südostasien, wo die Staaten ebenfalls viel Wert auf ihre Souveränität legen, funktioniert dieser Ansatz, der Informationsaustausch im ReCAAP-Projekt gilt als verhältnismäßig erfolgreich.

Neben dem Informationsaustausch und der entsprechenden Infrastruktur spielt die Aus- und Weiterbildung eine zentrale Rolle in dem Projekt. Labonne: »Für eine effiziente Datensammlung und –analyse brauchen wir eine gemeinsame Sicherheitskultur. Wir arbeiten intensiv an Fortbildungen. Am Ende des Tages sind es die Menschen, die über den Erfolg des Projekts entscheiden.« In den nächsten vier Jahren sollen rund 150 Vertreter der nationalen Behörden ausgebildet werden, in Abidjan und in Accra. Auch auf See soll es diverse Übungen geben. Allerdings finden diese Ausbildungen wiederum nicht in Nigeria statt, dort also, wo sie mutmaßlich am nötigsten wären.

Was in dieser Architektur ausgeklammert wird, ist, dass kaum ein Land der Region ausreichend Equipment hat, um seine Gewässer zu kontrollieren. Labonne ist sich dessen bewusst. Ob diese Probleme nicht zuerst gelöst werden müssten? »Das ist nicht Teil der Gogin-Mission. Andererseits ist die Zusammenarbeit genauso wichtig. Was nützt es, wenn man die beste Ausrüstung hat, aber isoliert und überfordert ist, sobald es eine Problemlage gibt, die die eigenen Kapazitäten übertrifft.«

Gleichzeitig sieht er ein, dass der Aufbau gegenseitigen Vertrauens eine große Herausforderung ist – »wie jeder transnationale Ansatz«. Aber man arbeite daran.

Ein ähnliches Problem stellt die zum Teil grassierende Korruption in der Region dar. Im 176 Länder umfassenden Korruptionsindex von Transparency International werden acht der Gogin-Staaten niedriger als Rang 130 gelistet: Nigeria (136), Guinea (142), Gambia, Kamerun (gemeinsam 145), DR Kongo (156), Kongo (159), Angola (164) und Guinea-Bissau (168) schneiden am schlechtesten ab.

Es gibt Behördenvertreter, die sich dafür bezahlen lassen, dass sie wegschauen, oder Informationen über Schiffe und Routen preisgeben. Doch nicht nur, weil die Behörden in einigen Fällen selbst involviert sind, werden Überfälle oft gar nicht erst gemeldet. Polizeiliche Untersuchungen dauern sehr lange, das kostet den Reeder Zeit und Geld. Ein Problem, dass von Gogin nur bedingt angegangen wird.

Was soll das Ganze dann überhaupt bringen, mag man fragen. Es gibt tatsächlich Lücken im Konzept. Anderseits, alles andere hat bislang ebenfalls wenig Früchte getragen.


Michael Meyer