Print Friendly, PDF & Email

Kerstin Schmeding (damals Bruns) ist seit vier Wochen als 2. Offizier an Bord der »Hansa Bergen«, als sie bei einer eigentlich unkomp­lizierten Reparatur an Deck von einer hohen Welle erfasst wird und 300 sm vor Mauritius ins offene Meer gezogen wird. Dass sie nach 20 Stunden sicher geborgen werden konnte, grenzt an ein Wunder. Im Interview mit der HANSA spricht sie über den Vorfall

Erinnern Sie sich noch an den Vormittag des 25. Juni 2004?

Kerstin Schmeding: Ja, alles war ganz entspannt[ds_preview]. Wir waren mit der »Hansa Bergen« auf dem Weg von Singapur nach Mauritius. Das Schiff hat gemütlich geschaukelt und weil es so lange Wellen waren, hat man gar nicht so sehr gemerkt, dass sie acht bis neun Meter hoch waren. Zudem schien die Sonne und es war warm.

Und was geschah dann?

Schmeding: Kurz vor der Kaffeepause um 15 Uhr hat der Kapitän den 1. Offizier, einen Bootsmann, zwei Matrosen und mich damit beauftragt, die Gangway zu sichern. Dort hatte sich eine Spannschraube gelockert, das war aber keine große Sache. Da die Wellen konstant aus einer Richtung kamen, hat der Kapitän das Schiff so gedreht, dass wir auf der geschützten Seite waren. Wir waren gerade an der Gangway angekommen, als plötzlich der 1. Offizier »Watch out« schrie. Als die Welle kam, hat jeder versucht, sich festzuhalten. Weil wir so viele waren, blieb mir nur die Reling. Die Welle hat mich dann durch die Reling ins Wasser gezogen und ich war etwa 4m unter Wasser, bis ich wieder aufgetaucht bin.

Waren Sie verletzt?

Schmeding: Mein Fuß stieß gegen die Verstrebung der Reling und am Ober- und Unterschenkel habe ich mir auch etwas wehgetan.

Was war Ihr erster Gedanke, als Sie im Wasser lagen?

Schmeding: Mist. Und dass wir während der Ausbildung gelernt hatten, dass man besser nicht ins Wasser fallen sollte: Wenn man draußen ist, hat man keine Chance. Das Heck des Schiffs war bereits etwa 10m entfernt. Aber nach einigen Minuten habe ich gesehen, dass es bereits eine Schleife für den Williamson-Turn dreht, was zum Person-über-Bord-Manöver gehört, und war erst einmal recht entspannt.

Wie schlimm war der Seegang, als sie im Wasser trieben?

Schmeding: Es waren sehr langgezogene Wellen, die nicht über mich schwappten, und wir hatten erst zwei Tage vorher unter meiner Anleitung als Sicherheitsoffizierin eine theoretische Übung dazu an Bord gemacht. Stolz hatte ich der Crew noch erklärt, dass es nicht mehr Mann-über-Bord, sondern Person-über-Bord heißt und dass es nicht sinnvoll ist, wenn sich die Mannschaft bei einem solchen Manöver selbst in Gefahr bringt. Daran musste ich natürlich sofort wieder denken.

Wie sah das Rettungsmanöver aus?

Schmeding: Ich sah orangefarbenen Rauch, aber keine Rettungsringe oder -inseln. Die Crew konnte mich wegen der hohen Wellen gar nicht sehen. Das Schiff hat noch mehrmals gedreht und weil wir so nah am Äquator waren, wurde es schnell dunkel. Ich sah zwar noch die Lichter des Schiffs und nachts auch weitere, aber ich wusste, dass es in der Dunkelheit aussichtslos war, weiterzusuchen.

Wie groß war Ihre Angst, ganz allein auf dem Meer, ohne Rettungsweste oder etwas zum Festhalten?

Schmeding: Ich habe gewusst, dass sie am nächsten Morgen weiter nach mir suchen werden. Es waren ja weitere Schiffe dazu gekommen. Aber natürlich habe ich auch an meine Familie, meine verstorbene Großmutter und meinen Freund gedacht und mich gefragt, ob sie bereits Bescheid wissen. Ich war mir auch zuerst nicht sicher, ob ich allein im Wasser war oder ob noch jemand von Bord gegangen war, der meine Hilfe brauchte. Letztlich war ich sogar froh, nur für mich selbst verantwortlich zu sein.

Dennoch, Sie hatten die Nacht allein auf offener See vor sich. Bei vielen Menschen würde das Panik auslösen. Wie war das bei Ihnen?

Schmeding: Zu Anfang bin ich viel geschwommen und habe versucht, zum Schiff zu gelangen. Weil die Rettungschancen dadurch aber nicht steigen, habe ich mich einfach ausgestreckt auf den Wellen treiben lassen. Aufgrund des hohen Salzgehalts im Wasser war das ohne Kraftaufwand möglich. Zwischendurch bin ich kurz geschwommen, zum Durchbluten und auch, um wach zu bleiben.

Inwieweit haben Ihnen die Trainings und Sicherheitsübungen geholfen?

Schmeding: Einiges von dem, was ich gelernt habe, habe ich über Bord geworfen: Man soll sich zusammenkauern, um nicht auszukühlen. Dadurch wurde ich jedoch zum Spielball der Wellen. Aber dass es wichtig ist, ruhig zu bleiben und nicht hysterisch zu werden, war natürlich hilfreich, ebenso wie die Kleidung anzubehalten.

Woher haben Sie die Kraft und den Mut geschöpft, diese Nacht durchzustehen?

Schmeding: Ich konnte mir nicht vorstellen, wie es wäre, die Luft anzuhalten oder das Wasser zu trinken. Ich habe doch noch so viel vor im Leben. Der schlimmste Moment war morgens, als ich in der Dämmerung die Schiffe nicht mehr sehen konnte. Nach einer Stunde habe ich dann am Horizont die drei Schiffe nebeneinander gesehen und durch Winken und Schreien auf mich aufmerksam gemacht.

Und wie ging es weiter?

Schmeding: Alle haben gejubelt, als sie mich gesehen haben. Ich bin dann auch in den Rettungsring, aber unser Schiff hatte noch Fahrt und durch die Heckwelle kam mein Kopf wieder unter Wasser und ich halb unter das Heck, sodass ich doch selbst schwimmen musste. Als ich schließlich bei der Lotsenleiter war, wurde ich beim Hochklettern immer wieder von den Wellen erfasst und gegen die Bordwand gespült. Etwa eine Stunde nachdem ich entdeckt wurde, haben sie mich dann endlich über die Reling gezogen und mussten mich dann stützen, weil ich keine Kraft mehr hatte.

Sind Sie danach weiter zur See gefahren?

Schmeding: Am nächsten Tag war ich auf Mauritius im Krankenhaus, bin dann aber aus eigenem Wunsch noch eine Woche an Bord geblieben, sonst hätte ich mich das nie wieder getraut, und das war ja mein Traumjob. Nach meiner sechswöchigen Krankschreibung bin ich noch bis 2007 zur See gefahren. Dass ich jetzt an Land arbeite, hat private Gründe. Aber ich leite bei meinem jetzigen Arbeitgeber das Qualitäts-, Sicherheits- und Umweltmanagement. Sicherheit war und ist mir ein wichtiges Thema!
Interview: Claudia Behrend