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Die deutsche Werftindustrie wandert auf schmalen Graten – das allerdings derzeit sehr erfolgreich. Doch blenden lässt sich die Branche nicht, im globalen Wettbewerb sind große Anstrengungen nötig. Eine graphische Analyse von Michael Meyer

Die gute Nachricht vorweg: Während sich der Umbau- und Reparaturmarkt – vor gar nicht allzu langer Zeit noch als wichtiger Ausgleich[ds_preview] proklamiert – relativ stabil hält, hat der Neubauauftragsbestand auf Basis der finanziellen Volumen einen Rekordwert erreicht. Auch die Anzahl der neu zu bauenden Schiffe legte zu. Inzwischen wächst das Auftragsbuch hierzulande das sechste Jahr in Folge. In diesem Punkt zeigte sich Harald Fassmer, Chef der Fassmer-Werft und Präsident des Verbands für Schiffbau und Meerestechnik (VSM) bei der Bekanntgabe der Bilanz für 2016 zufrieden: »Vor einigen Jahren war das kaum für möglich zu halten.«

Die Analyse des Welt- und des hiesigen Schiffbaus zeigt, dass sich Deutschland (und Europa) damit gegen den Trend entwickelt. Das liegt zwar weniger an der eigenen Stärke als vielmehr an den Einbrüchen im Standardschiffbau in Asien, ist aber dennoch erfreulich.

Die Schiffbauunternehmen profitieren momentan von zwei Faktoren: dem Boom im Kreuzfahrt- und Passagierschiffbau, bei dem noch immer sehr auf Europas Werften sowie auf »Made in Germany« gesetzt wird. Weil die Projekte sehr umfangreich sind und die Kreuzfahrtschiffe sehr teuer, kommt es zu dem hohen Wert des Orderbuchs. Zweitens spielt die Übernahme der Werften in Wismar, Warnemünde und Stralsund durch den in Hongkong ansässigen Genting-Konzern eine wichtige Rolle, lässt er doch für seine eigenen Reedereitöchter ganze Serien an Kreuzlinern und Flusskreuzern in Deutschland fertigen.

Doch es ist nicht alles eitel Sonnenschein für die deutschen Werften, wie auch Verbandsgeschäftsführer Reinhard Lüken und Präsident Fassmer deutlich machten. Zum Einen zeigt die Grafik über die Anzahl der Aufträge das relativ niedrige Niveau des Orderbuchs sowie eine flachere Wachstumskurve. Da musste man einige Federn lassen. Waren es im Jahr 2000 noch 158 Schiffe, sind es mittlerweile nur noch 31 – bis auf eine kleine Serie bei Ferus Smit in Leer zudem ausschließlich Spezialschiffe. Zur Jahrtausendwende kamen noch 74 % der Aufträge aus der Containerschifffahrt. Das Segment ist mittlerweile komplett abgewandert. Dafür stieg das Volumen des Orderbuchs von 10,9 Mrd. DM auf 7,8 Mrd. €.

Zum Anderen arbeitet die deutsche Werftindustrie – neben dem einträglichen Marinegeschäft – in relativ großer Abhängigkeit von einem Markt; der Passagierschifffahrt. Auch wenn die meisten Experten noch kein Ende des Cruise-Booms absehen können (wollen), und auch wenn es sicherlich weitere Segmente gibt, in denen die Werften aktiv sind, besteht ein Risiko. Außerdem ist man zumindest in Mecklenburg-Vorpommern vom Wohlwollen und der wirtschaftlichen Kraft eines Großkonzerns abhängig. Auch das birgt Gefahren.

Lüken und Fassmer wollen sich daher nicht blenden lassen. Denn auch im Spezial- und Kreuzfahrtschiffbau kommt China als immer größerer Konkurrent näher und bedroht die Marktanteile deutscher und europäischer Werften.

»Leider können viele VSM-Mitglieder von der Entwicklung wenig oder gar nicht profitieren: Die maritime Wertschöpfungskette braucht Bestellungen aus dem Weltmarkt, um die Auslastung ihrer Produktionsstandorte sicherzustellen und eine hohe Produktivität zu gewährleisten. Die Weltmarktschwäche trifft darum viele Komponenten-, System- und Anlagenbauer mit voller Härte«, heißt es seitens des Verbands. Bedrohlich werde die Lage nun, weil sich die Frachtschifffahrtsmärkte langfristig auf deutlich geringere Wachstumsraten einstellen müssten und gleichzeitig handelspolitische Trends beobachtet würden, die mit Protektionismus, Local-Content-Forderungen und Subventionen »in nie dagewesener Höhe« zu weiteren Marktverzerrungen führten.

»Doch die Branche fragt sich, ob ihre Innovationskraft in Zukunft noch reichen wird, wenn Wettbewerber im Rahmen einer konzertierten Industriepolitik (wie »Made in China 2025«) auf ganz andere Förderstrukturen zurückgreifen«, sagte Fassmer.

Die chinesische Initiative mache die Gefahr deutlich: Auch der Schiffbau ist einer der »zehn Kernsektoren«, allerdings nicht mehr der Standardbau, sondern das Segment »High-tech ships«, jenes also, in dem sich Europäer im Vorteil wähnen. »Das müssen wir sehr ernst nehmen«, sagte Lüken. Die Chinesen würden ihre Ankündigungen oft sogar schneller umsetzen als angekündigt.

Aus Sicht des VSM erscheinen jedoch weder China zu stoppen noch es ihm gleichzutun als realistische Optionen. »Aber wir müssen die dortigen Rahmenbedingungen sehr genau verfolgen und darauf mit den uns eigenen Möglichkeiten reagieren«, forderte Fassmer. »Aus unserer Sicht heißt das: Wir setzen auf die bessere Technik. Dass die aus Deutschland kommt, ist aber kein Naturgesetz. Entscheidend sind exzellente Zusammenarbeit und Innovationskraft. Dafür sind geeignete Strukturen nötig – in den Unternehmen ebenso wie darüber hinaus.« Die Maritime Agenda 2025 sei eine große Errungenschaft. Gleichzeitig seien andere Themen prominent hinzugekommen, etwa die Digitalisierung und die maritime Energiewende.

»Wenn wir diese Themen aber mit Volldampf voranbringen wollen, müssen wir und muss auch die Regierung noch die eine oder andere Schippe drauflegen. Gemeinsame Positionspapiere sind gut, gemeinsames Anpacken noch besser«, appellierte der VSM-Präsident. Die Mitgliedsunternehmen würden sich keineswegs nur auf Lösungen der Regierung verlassen. Sie wüssten, dass sie in allererster Linie selbst für ihre Zukunft sorgen müssen.

»Wir wollen die Zusammenarbeit stärken und gemeinsam neue Wege gehen, wo immer dies sinnvoll ist«, bekräftigte Lüken: »Dafür stehen VSM-Initiativen wie die German Maritime Export Initiative (GeMaX), die VSM Akademie oder unser Vorschlag zur Gründung des Deutschen Maritimen Zentrums genauso wie die Fülle der Aktivitäten im Rahmen der unterschiedlichen VSM-Arbeitsgruppen.«


Michael Meyer