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Mit fortschreitender Digitalisierung wachsen auch die an Bord anfallenden Datenmengen. Nur sinnvoll aufbereitet liefern sie nützliche Erkenntnisse und bilden zudem die Grundlage für viel weiterreichendes Asset-Management, etwa den »Digital Twin«

Die Digitalisierung setzt derzeit den Trend in vielen Industriebereichen, das gilt zunehmend auch und gerade für die Ausrüstung und den[ds_preview] Betrieb von Handels- sowie Passagierschiffen. In Fachkreisen wird bereits in Anlehnung an die vierte industrielle Revolution von »Marine 4.0« gesprochen. Die Minimierung von Emissionen und die daraus resultierende Effizienzsteigerung sind für die Schifffahrt allein schon aufgrund gestiegener Anforderungen durch Gesetzgeber und Regulierungsbehörden obligatorisch. Bei der Bewältigung dieser besonderen Herausforderung können Instrumente wie Big Data, Data Mining oder virtuelle Kopien der Realität, so genannte Digital Twins, eine große Hilfestellung für die Besatzung, aber auch für die Eigentümer und Betreiber von Schiffen bzw. Flotten sein. Sie sind auch eine Voraussetzung für den Schiffsverkehr der Zukunft, der vollautomatisiert und somit autonom erfolgen soll, auf eine Crew also verzichten kann. Allein schon aus rechtlichen und versicherungstechnischen Gründen liegt das selbstfahrende Schiff aber noch in einer ferneren Zukunft. »In diesem Sinne voll automatisierte Schiffe erwarten wir frühestens in zehn bis 15 Jahren«, erklärt Michael Wycisk, Leiter Innovationsmanagement und Technologie bei Siemens Marine in Hamburg.

Das Unternehmen beschäftigt sich bereits seit einem Jahrzehnt mit der Digitalisierung der Schifffahrt, die mit immer komplexeren Systemen und immer geringeren Besatzungsstärken auskommen muss. Schon heute verfügen Schiffe über eine ganze Reihe von hochentwickelten Installationen und Systemen u.a. in den Bereichen Navigation, Antrieb, Energieerzeugung, Energiemanagement, WHRS, Heizung, Lüftung und Klimatechnik (HVAC). Auch die Felder vorausschauende Wartung, Dokumentation wie das digitale Logbuch oder Emissionsüberwachung gehören hierher. All diese Systeme liefern fortwährend Daten zu ihrem Status, ihrer Leistungsfähigkeit und Effizienz. »Allerdings ist der Einsatz dieser Daten für die Prozessoptimierung schwierig, weil sie häufig nicht vergleichbar und nicht konsistent sind«, sagt Patrick Müller, Product Lifecycle Manager für Automation & Control bei Siemens Marine. Vor diesem Hintergrund hat Siemens EcoMAIN entwickelt. Das System sammelt über verschiedenste Schnittstellen Daten von Bord, bereitet sie einheitlich auf und stellt sie auf einer gemeinsamen Datenplattform zur Verfügung. Diese Daten stellen die Basis für Bewertungen, Berechnungen und Vorhersagen, die die Schiffsführung und Reeder dabei unterstützen, die richtigen Entscheidungen zu treffen und auf diese Weise den Schiffsbetrieb oder sogar das Flottenmanagement zu optimieren.

Big Data gewinnt an Bedeutung

Inwieweit die Schiffsindustrie bereits mit dem Thema Big Data, also dem Sammeln und Bewerten von großen Datenmengen, beschäftigt ist, zeigt das Projekt auf einem Kreuzfahrtschiff der neuesten Generation, das Siemens 2016 durchgeführt hat. Die relevanten technischen Systeme an Bord vom Energiemanagement bis zur Automatisierung der Kabinen generieren mehr als 80.000 Datenpunkte, von denen 2.000 sekündlich erfasst werden. Das Datenarchiv an Bord ist entsprechend ausgelegt und hat eine Kapazität von 18 Monaten. Die große Vielfältigkeit der verschiedenen Daten, die beim Betrieb von Schiffen in kurzen Zeitabschnitten gewonnen werden, ist mit herkömmlichen Methoden nicht mehr zu verarbeiten, sondern erfordert spezielle Algorithmen. Diese sind in der Lage, nicht nur eine große Datenflut zu bewältigen, sondern auch bisher unbekannte Muster darin zu erkennen. Derartige Verfahren werden inzwischen als Data Mining bezeichnet. Allerdings sind weitere Schritte notwendig, um die Daten weiter so aufzubereiten, dass sie nützliche Erkenntnisse z.B. für die Schiffsführung liefern.

Ein weiteres wichtiges Werkzeug, das den Umgang mit gewaltigen Datenmengen voraussetzt, ist Digital Twin, die virtuelle Kopie eines echten Assets. In dieses Abbild fließen alle mechanischen und elektrischen Konstruktionsdaten ebenso ein wie das physikalische Verhalten des betrachteten Objektes. Darüber hinaus beeinflussen die Umgebungsbedingungen das Verhalten des Modells, die nach und nach in die Kopie eingefügt werden, um eine immer bessere Wiedergabe der eigentlichen Verhältnisse zu gewinnen. Für ein komplexes System wie ein Schiff müssen viele spezifische Digital Twins zu einer kompletten Kopie zusammengefügt werden, wobei sich die einzelnen Digital Twins gegenseitig beeinflussen. Alle Schritte vom Schiffsentwurf über Betrieb, Wartung und Service profitieren von Digital Twins. So können einerseits Baufortschritte erfasst werden. Andererseits lassen sich Echtzeit-Repliken von Geräten und Systemen in allen erdenklichen Betriebszuständen, aber auch konkrete Arbeitsbedingungen oder das Verhalten in realen Positionen modellieren. So können Diagnosen und Prognosen auf Basis individueller Anwendungen gewonnen werden.

Schon heute große Datenmengen

Schon heute sind je nach Schiffstyp 30 bis 40 Systeme an Bord, die den täglichen Betrieb verbessern sollen. Auf der anderen Seite ist eine immer geringere Mannschaft dadurch stetig komplexeren Herausforderungen ausgesetzt, weil für die installierte Technik vertieftes Wissen und Kenntnisse über die jeweiligen Abhängigkeiten notwendig sind. Als effektive Hilfestellung hat Siemens mit SISHIP EcoMAIN eine Plattform entwickelt, die durch die Bereitstellung von Daten aus allen relevanten Systemen und Geräten nicht nur die notwendigen Entscheidungsträgern an Bord unterstützt, sondern auch einen Datenzugang von Land aus ermöglicht. Diese webbasierte Oberfläche gestattet den Vergleich von wichtigen Betriebsparametern quer durch alle Schiffe einer entsprechend ausgerüsteten Flotte. »Auf diese Weise können Optimierungspotenziale gehoben und Best Practice-Standards implementiert werden, die die Betriebskosten signifikant senken, aber auch die Wartung verbessern«, so Patrick Müller.

Das System ermöglicht sogar den Datenaustausch zwischen verschiedenen proprietären Anwendungen, ganz gleich ob von Dritten oder Siemens. Dabei kann es ebenso auf einzelnen Schiffen sinnvoll eingesetzt werden wie bei ganzen Flotten. Die Plattform ist nach Auffassung von Siemens erst ein Anfang, die digitale Durchdringung des Marinesektors hat gerade erst begonnen. Ähnlich wie bei der Nutzung von Smart Phones werden auch in der Schifffahrt immer neue Anwendungen auf digitaler Basis entwickelt werden – von Siemens ebenso wie von anderen Anbietern. »Die Elektrifizierung wird durch die Digitalisierung vorangetrieben werden und die immer konsequentere Automatisierung wird schließlich zum autonomen Schiff führen«, prophezeit Michael Wycisk. Siemens hat dafür bereits wesentliche technische Voraussetzungen geschaffen – von der Infrastruktur an Bord und an Land bis hin zum Datentransfer per Satellit mit höchster Sicherheit für ein profitables Flottenmanagement.


RD