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Der deutsche Marineschiffbau wird für seine Systemkompetenz beim Bau von Überwasserschiffen und U-Booten international hoch geschätzt. Bei der Auftragsvergabe für die neuen Mehrzweckkampfschiffe (MKS 180) müssen sich die heimischen Anbieter allerdings erstmals dem europäischen Wettbewerb stellen.
Das Produktspektrum der deutschen Marineschiffbauindustrie, die im Gegensatz zu vielen ausländischen und staatlichen Mitbewerbern rein privatwirtschaftlich aufgestellt ist, reicht von[ds_preview] U-Booten, Fregatten, Korvetten, Schnellbooten, und Patrouillenbooten über Offshore-Patrol-Vessel, Minenjagd-Boote und Versorger bis hin zu Systemlieferungen und Einzelkomponenten für das komplexe Gesamtsystem Schiff. Hinzu kommen Umbauten und Wartungs- und Instandsetzungsaufträge. Der Umsatz im Marineschiffbau betrug in der Vergangenheit rund 1Mrd. € pro Jahr. Die Exportquote aller Unternehmen wie Werften, Komponentenhersteller, Zulieferer und Dienstleister liegt in der Regel bei etwa 75%.

Die Bauwerften und Instandsetzungsorte liegen entlang der deutschen Küsten und sorgen dort für hochqualifizierte Arbeitsplätze. Für Erhalt und Entwicklung dieser strategischen industriellen Kernfähigkeiten und schlüsseltechnologischen Kompetenzen in Deutschland sind nationale Beschaffungs- und Forschungsprojekte des öffentlichen Auftraggebers bzw. der Deutschen Marine unerlässlich. Nationale Auftragsvergaben bilden zugleich eine wesentliche Referenz im Export an ausländische Regierungen, denn die Deutsche Marine fungiert dabei als »Parent Navy«.

Der Marineschiffbau in Deutschland ist zwingend auf den Export angewiesen, um industrielle Kompetenzen und qualifizierte Arbeitsplätze in Deutschland zu sichern. Denn der nationale Bedarf reicht nicht aus, um die deutsche Industrie auszulasten oder zu erhalten. Hinzu kommt, dass üblicherweise neue Einheiten nur alle 25 Jahre neu geordert werden.

Nach dem Ende des Kalten Krieges ist die Deutsche Marine bzw. ihre Flotte von einst 220 Einheiten auf gegenwärtig nur noch 70 Einheiten geschrumpft, schrittweise werden weitere Einheiten (Fregatte Klasse 122, Schnellboote) unter anderem wegen ihrer Überalterung außer Dienst gestellt. Ab 2020 soll die Flotte dann nur noch 55 Schiffe und Boote sowie 40 Luftfahrzeuge umfassen, darunter elf Fregatten und fünf Korvetten, vier Mehrzweckkampfschiffe (MKS 180), sechs U-Boote, zehn Minenabwehr- sowie elf Unterstützungseinheiten, drei Flottendienstboote, zwei Joint Support Ships, dazu acht Seefernaufklärer-Flugzeuge und 30 Hubschrauber.

Fregatten und Korvetten

Derzeit erhält die Deutsche Marine vier neue Fregatten der Klasse F 125, die von einer Arbeitsgemeinschaft aus ThyssenKrupp Marine Systems (TKMS) und Fr. Lürssen Werft gebaut und bei Blohm + Voss in Hamburg fertiggestellt werden. Die vier Fregatten sollen die insgesamt acht Fregatten Klasse 122 ersetzen, die nach 30 Jahren außer Dienst gestellt werden. Fünf Fregatten sind bereits ausgemustert.

Das Projekt F 125 wurde 2007 gebilligt und 2011 begonnen. Das Typschiff, die Fregatte »Baden-Württemberg«, befindet sich bereits auf Erprobungsfahrt und soll 2017 in Dienst gestellt werden. Die anderen drei Fregatten sollen schrttweise bis 2020 ausgeliefert werden.

Die F 125 stellt einen innovativen Fregattentyp (7.000t) dar, der vornehmlich nach dem Konzept der »Intensivnutzbarkeit« entwickelt wurde. Damit hat die deutsche Marineschiffbauindustrie Neuland betreten. Gefordert waren unter anderem eine zweijährige Verfügbarkeit im Einsatzgebiet, die Auslegung für 5.000 Betriebsstunden im Jahr, die Ausdehnung der Wartungsperioden auf 68 Monate sowie ein hoher Automatisierungsgrad in der Schiffstechnik, im Antrieb und bei den elektrischen Systemen. Zudem soll eine 120-köpfige Besatzung ausreichen. Allerdings hat sich die Bauzeit der F 125 wegen technologischer Probleme und Pannen um rund ein Jahr verlängert, was bei einem technologisch so anspruchsvollen Projekt von vornherein nicht auzuschließen war. Die Arge 125 hofft, den Fregattentyp F 125 künftig auch exportieren zu können, sofern sich andere Marinen dafür interessieren.

Bei den zwei Mehrzweck-Fregatten vom Typ MEKO A200 ALG, die TKMS auf der Werft German Naval Yards in Kiel für die algerische Marine gebaut hat, konnte der Zeitplan dagegen exakt eingehalten werden. Die erste Fregatte (3.700t) wurde bereits Anfang 2016 an die algerische Marine ausgeliefert. Die zweite Fregatte absolviert derzeit ihre Erprobungsfahrten in der Ostsee, um 2017 fristgerecht fertig zu werden.

Beim Bau der fünf Korvetten der Klasse K 130 (1.870t) für die Deutsche Marine kam es zu gravierenden Schäden an den Getrieben, die die Einsatzfähigkeit der gesamten Korvetten-Klasse über eine lange Durststrecke verhindert haben. Diese Schiffe waren ab 2000 vom Werftenkonsortium Blohm + Voss (Federführung), TKMS und Fr. Lürssen Werft gebaut und zwischen 2008 und 2013 in Dienst gestellt worden. Erst seit 2013 sind die Getriebeschäden auf allen Korvetten behoben.

Die aufgetretenen Mängel haben die Reputation der deutschen Marineschiffbauindustrie leicht angekratzt. Dennoch hat Israel mit Deutschland 2015 einen Vertrag für Bau und Lieferung von vier Korvetten für die israelische Marine abgeschlossen. Sie sollen als Variante der deutschen Klasse K 130 von TKMS auf der Werft German Naval Yards innerhalb von fünf Jahren zum Stückpreis von 430Mio. € gebaut werden. Deutschland will sich mit 115Mio. € an den Baukosten beteiligen. Sensor- und Waffensysteme sollen erst in Israel mit heimischen Komponenten ausgerüst werden. Die Korvetten sind zur Sicherung und Überwachung der Küstengewässer und der Offshore-Anlagen ab 2020 im Mittelmeer gedacht.

U-Boote

Der Bau von konventionellen U-Booten hat in Deutschland eine lange Tradition. Seit den 1960er Jahren haben die Ho­waldtswerke Deutsche Werft AG (HDW) in Kiel, die heute zu TKMS gehören, insgesamt 162 U-Boote verschiedener Klassen und Typen für 20 Marinen gebaut und in den vergangenen 50 Jahren die U-Boot-Technologie kontinuierlich weiterentwickelt. Glanzstück dieser Serie ist die Klasse 212A (1.859t getaucht), die mit einem Außenluft-unabhängigen Antrieb (Air Independent Propulsion – AIP) auf der Grundlage von Brennstoffzellen ausgerüstet sind. Dieser AIP-Antrieb verleiht den U-Booten die Fähigkeit, rund zwei Wochen getaucht zu operieren.

Moderne konventionelle U-Boote aus Deutschland sind weltweit begehrt. Im Vergleich zu Atom-U-Booten sind konventionelle Einheiten nicht nur kostengünstiger (Beschaffungs-, Betriebs – und Instandsetzungskosten), sie sind auch weltweit (Tief- und Flachwasser, Küstengewässer) einsetzbar, praktisch »unsichtbar«, sehr leise und nur sehr schwer zu orten. Kein anderes autonom operierendes Seekriegsmittel kann ein vergleichbar großes Bedrohungs und Abschreckungspotenzial verbunden mit einem breiten Fähigkeits- und Einsatzspektrum bieten wie ein U-Boot der Klasse 212A. Das Einsatzspek­trum umfasst unter anderem die verdeckte Aufklärung, Lagebilderstellung, Überwachung und Kontrolle von Seegebieten, Bekämpfung von Überwasserzielen, Schutz und Sicherung eigener Verbände, Einsatz von Spezialkräften über weite Distanzen, Einsatz von UUVs (Unmanned Underwater Vehicles), Minenlegen oder U-Jagd. Zudem sind die U-Boote auch zur vernetzten Operationsführung befähigt.

Die Deutsche Marine besitzt inzwischen fünf U-Boote der Klasse 212A. Ein sechstes U-Boot (2. Los) soll dieses Jahres in Dienst gestellt werden. Die U-Boote haben eine Lebensdauer von etwa 25 Jahren. Daraus folgt, dass es vermutlich auf lange Sicht kein nationales Beschaffungsprojekt mehr geben dürfte.

Auch hier ergibt sich die Wichtigkeit des Exports. Immerhin zählt die Bundesregierung den Bau von konventionellen U-Booten zu den festgelegten Kernfähigkeiten der deutschen wehrtechnischen Industrie. Diese gilt es auch dann zu erhalten, wenn es zur politisch angestrebten Vereinheitlichung/Konzentration in der europäischen Rüstungsindustrie kommen sollte.

MKS 180 im Wettbewerb

Die Deutsche Marine will vier neue Mehrzweckkampfschiffe (MKS 180) beschaffen. Das Projekt mit einem Gesamtkostenvolumen von mehr als 4Mrd. € ist der bislang größte deutsche Marineauftrag in der Nachkriegsgeschichte. Das Bundesverteidigungsministerium (BMVg) hatte 2015 das Konzept gebilligt und den Bau dieser neuen Schiffsklasse in einem europaweiten Vergabeverfahren ausgeschrieben – zum Ärger der deutschen Marineschiffbau-Industrie über dieses Novum: Kein anderes EU-Land hat bislang ein Projekt von solchem Umfang für den europaweiten Wettbewerb geöffnet. Das MKS 180 könnte also auch auf einer Werft in Frankreich, den Niederlanden oder Italien gebaut werden.

Das Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw) prüft derzeit den Kreis der drei Bieter, die in eine engere Auswahl für den Milliardenauftrag gekommen sind. Dazu zählen eine Arge aus TKMS und Lürssen, ein Konsortium von Damen Shipyards (Niederlande) mit Bohm + Voss (Hamburg) sowie German Naval Yards (Kiel) im Verbund mit BAE-Systems (Großbritannien) als Designpartner. Andere europäische Konkurrenten wie die französische Staatswerft DCNS, der italienische Werftenkonzern Fincantieri oder auch Navantia (Spanien) sind dem Vernehmen nach bereits ausgeschieden.

Das MKS 180 stellt nach den konzeptionellen Anforderungen einen neuen Marineschiffstyp dar, der zuverlässig, robust und flexibel einsetzbar ist. Das Schiff soll ein umfangreiches Fähigkeits- und Aufgabenspektrum abdecken können und zu lang andauernden Operationen (bis zu zwei Jahre im Einsatzgebiet) in allen klimatischen Gewässern bei häufigem Besatzungswechsel fähig sein. Zu den Aufgaben zählen Überwachung, Aufklärung, Sicherung, Embargokontrolle, Eskorten, Seenotrettung und Evakuierungen sowie humanitäre Einsätze ebenso wie Anti-Terrorismuseinsätze.

Dafür sind neben einer Dauerhöchstfahrt von mehr als 26 kn, einem Fahrbereich von 4.000sm bei 18kn und einer Seeausdauer von 21 Tagen vielfältige neue Funktionen erforderlich. Das MKS 180 soll missionsmodular ausgelegt und mit entsprechenden Waffensystemen ausgerüstet werden, darunter Systemen zur Feuerunterstützung, zur Ziel-und Wirkaufklärung gegen U-Boote (Schleppsonare), zur Unterwasseraufklärung/Bekämpfung von Minen/Sprengkörpern oder zur Entdeckung von Tauchern/Kampfschwimmern. Zum Betrieb der Missionsmodule/Container werden Stellflächen mit Versorgungsanschlüssen zur technischen Integration an Oberdeck/Heck benötigt, die im Design des Schiffes zu berücksichtigen sind. Zu den Bordeinsatzkomponenten gehören zwei Einsatzboote mit einer Dauerhöchstfahrt von über 35kn mit entsprechenden Aussetzvorrichtungen. Dazu sollen ein Bordhubschrauber und zwei UAVs (Flugdrohnen) inklusive der dazugehörigen Missionsausstatung, Wartungseinrichtungen, Ersatzteile und Munition an Bord stationiert werden.

Für die Überlebensfähigkeit und den eigenen Schutz erhält das MKS 180 unter anderem weitreichende See- und Luftziel-Flugkörper, Rohrwaffensysteme gegen See- und Luftziele, Täuschkörpersysteme/Multifunktionswerfer sowie zentrale Überwachungssysteme für Oberdeck/Bordwände im Hafen. Die Forderungen nach einer zweijährigen Einsatzdauer (Intensivnutzung) mit einer Besatzungsstärke von ca. 140 Personen + 70 Spezialkräfte/Missionspersonal bedingen eine hohe Standkraft aller Systeme bei möglichst großen Wartungsintervallen und Reduzierung der Life Cycle Costs.

Tiefe Wertschöpfungskette

Das MKS 180 stellt einen Meilenstein für die deutsche Marineschiffbauindustrie und die Deutsche Marine dar. Nur eine nationale Vergabe für den Bauauftrag würde den Erhalt anspruchsvoller Systemkompetenz für große Marineschiffe am Standort Deutschland erhalten. Darauf haben die Branchenverbände immer wieder eindringlich verwiesen. Nur dann sei gewährleistet, dass Technologieentwicklung, Arbeitsplätze und breiteste Wertschöpfung der Werft- und Zulieferindustrie sowie fiskalische Rückflüsse in Deutschland gehalten werden.

Als TKMS kürzlich in Australien das Ausschreibungsverfahren für insgesamt zwölf U-Boote mit einem Volumen von etwa 37Mrd. € gegen DCNS (Frankreich) verloren hatte, vermutete TKMS-Bereichsvorstand Hans Christoph Atzpodien vor allem »technische Gründe«. Kenner der Materie verweisen aber auch auf die massive Unterstützung des Staatskonzerns durch die franzöische Regierung. Der Verband Schiffbau und Meerestechnik e.V. (VSM) hat deshalb erst jüngst wieder mehr Unterstützung und faire Wettbewerbsbedingungen für die deutsche Marineschiffbauindustrie gefordert.

»So lange Rüstungsgüter vom europäischen Wettbewerbsrecht weitgehend ausgenommen und nationalstaatliche Ausnahmeregeln zugelassen und in anderen EU-Staaten praktiziert werden, haben es die deutschen Unternehmen mit ungleichen Wettbewerbsbedingungen zu tun«, sagt VSM-Hauptgeschäftsführer Reinhard Lüken. Der Erhalt und die Fortentwicklung der strategischen industriellen Fähigkeiten im Marineschiffbau müssten jedoch in höchstem nationalen Interesse stehen.

Autor: Dieter Stockfisch,

Kapitän zur See a.D., Korrespondent

»Europäische Sicherheit &Technik«

dieter.stockfisch@mittler-report.de


Dieter Stockfisch