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Übertriebene Machtdemonstration oder mangelnde Sensibilität für internationales maritimes Recht?

Das Schicksal der »Seaman Guard Ohio« des Anti-Piraterie-Dienstleisters Advanfort ist auch Jahre nach der Festnahme der Crew nicht geklärt – die jüngste Entwicklung weckt allerdings Hoffnung. Die HANSA hat exklusive Einblicke in den Fall bekommen


Fast könnte man meinen, in Kontinentaleuropa sei das Schicksal der »Advanfort35« in Vergessenheit geraten. Dabei kann der Ausgang des Gerichtsprozesses[ds_preview] auch für die hiesigen Reedereien große Bedeutung haben. Denn auch für europäische Eigner ist das Handwerk der Männer, die auf der »Seaman Guard Ohio« Dienst im Kampf gegen Piraten taten, von enormer Wichtigkeit. Seeleute und bewaffnetes Sicherheitspersonal riskieren ihr Leben.

Nun sorgt ein juristischer Streit um Seegrenzen, Bunkerung und die Unterscheidung zwischen halb- und vollautomatischen Waffen sowie die Anwendung von nationalem oder internationalem Recht dafür, dass die 35 Männer seit über 2,5 Jahren Jahren in Indien festgehalten werden und trotz vielfältiger politischer und gesellschaftlicher Initiativen nicht in ihre Heimat dürfen. Doch insgesamt ist das Interesse an dem Fall hierzulande eher gering, vielen ist die Seaman Guard Ohio« nicht einmal bekannt. Lediglich in Großbritannien bekommt die Entwicklung etwas mehr Aufmerksamkeit, was daran liegen mag, dass einige Betroffene Briten sind und aktive Organisationen wie die »Mission to Seafarers« in Großbritannien ansässig sind.

Doch der Reihe nach …

Was war geschehen?

Am 12. Oktober 2013 war die unter der Flagge Sierra Leones fahrende »Seaman Guard Ohio« nahe des Golf von Mannar von indischen Sicherheitskräften zunächst festgehalten und schließlich in den Hafen von Tuticorin eskortiert worden, wo sie seither an der Kette liegt. Das ursprünglich als Patrouillenboot gebaute Schiff gehörte zu dieser Zeit dem US-amerikanischen Sicherheitsdienstleister Advanfort, der der internationalen Schifffahrt mit zwischenzeitlich sechs Basisschiffen private bewaffnete Begleitung zum Schutz vor Angriffen somalischer Piraten anbot. An Bord waren zwölf Inder, sechs Briten, 14 Esten und drei Ukrainer.

Die »Seaman Guard Ohio« diente dem Eigner als eines jener schwimmenden Waffenlager, die in internationalen Gewässern von Dienstleistern positioniert werden, und für die Guards als Basis dienen, von der sie zu Handelsschiffen aufbrechen. Ein übliches Vorgehen, mit dem viele Anbieter die zum Teil sehr strengen Waffen- und Sicherheitsgesetze umgehen, die in einigen Ländern vorherrschen. Im Jahr 2014 beispielsweise gab es mindestens 30 derartiger schwimmender Waffenlager von mehr als 12 Firmen, die im Indischen Ozean, im Persischen Golf oder im Roten Meer stationiert waren.

Anlass für die ursprüngliche Kontaktaufnahme der indischen Sicherheitsbehörden war nach offizieller Darstellung, dass das Schiff »illegale« Bunkeraktivitäten durchführte und 1.500 l Treibstoff aufnahm, und zwar innerhalb der indischen Territorialgewässer. Als die Beamten an Bord kamen, bemerkten sie darüberhinaus einen Vorrat an 35 Waffen, 102 Magazinen und 5.682 Schuss Munition, die die Guards bei ihren Anti-Piraterie-Engagements nutzen. Zudem habe der Kapitän zunächst nicht erklärt, warum er überhaupt in der Region unterwegs gewesen sei.

Das Schiff, die Seeleute und die Guards wurden schließlich in Tuticorin festgesetzt und in lokale Gefängnisse gebracht. Es folgte ein Strafverfahren in Tuticorin mit dem Vorwurf der illegalen Waffeneinfuhr in indische Gewässer und des fehlerhaften Einkaufs von Treibstoff. Das Argument der Notlage infolge des Zyklons »Phailin« ließ die Justiz nicht gelten, weil er in der betreffenden Region keine Auswirkung gehabt hätte.

Nachdem eine Freilassung auf Kaution mit Verweis auf die nach wie vor bestehende Gefährdung der nationalen Sicherheit zunächst mehrfach abgelehnt worden war, keimte im März 2014 etwas Hoffnung auf. Bis auf den Kapitän und den Chef des Sicherheitsteams Paul Towers, denen vorgeworfen wurde, die Waffen nicht ordnungsgemäß angemeldet zu haben, konnten die Angeklagten das Gefängnis verlassen, mussten aber im Land bleiben.

Die letztlich doch gewährte Freilassung beruhte unter anderem auf den Vorwürfen der Verteidigung, dass die Angeklagten unter unmenschlichen hygienischen Bedingungen, brutaler Behandlung und Traumata leiden – besonders Kapitän Dudnik Valenty, der mit der Piraterie bereits zwei Jahre zuvor »in Berührung« gekommen war, als er mit dem Frachter »Blida« elf Monate in der Hand somalischer Seeräuber war.

Im Juli 2014 wies der von der Verteidigung angerufene Madras High Court zumindest die Anklage wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz zurück. Als Begründung hieß es, dass die »Seaman Guard Ohio« aus einer Notsituation heraus in indische Gewässer eingefahren sei und daher das »Recht auf friedliche Durchfahrt« gemäß dem Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen (UNCLOS) für sich in Anspruch nehmen könne.

Nun war es an den Anklägern, in Revision zu gehen, sie zogen vor das höchste indische Gericht, den Supreme Court. Dieser kippte das Urteil des High Court – erneut mit dem Verweis auf die Bedrohung für die nationale Sicherheit und wies das ursprünglich zuständige Gericht in Tuticorin an, den Prozess innerhalb von sechs Monaten abzuschließen. Die Pässe der Seeleute und Guards blieben eingezogen.

Letztendlich kam es erst im Januar 2016 zu einem Urteilsspruch. Alle zehn Seeleute und 25 Sicherheitskräfte wurden zu fünfjährigen Haftstrafen verurteilt.

Unstimmigkeiten

Es gibt nach Informationen der HANSA allerdings Details, die für eine Bewertung des Sachverhalts wichtig sind. Reverend Ken Peters von der Nichtregierungsorganisation »Mission to Seafarers« unterstützt die »Zyklon-These« und geht von einem Notfall aus: »Das Schiff geriet infolge des Zyklons »Phailin« in sehr schwere See und verbrauchte dadurch mehr Treibstoff. Daher war die Bebunkerung zwingend nötig. Das war unglücklich, aber keineswegs geplant.«

Diese Auffassung vertritt – zumindest in Teilen – auch eine mit den Entwicklungen im Hintergrund bestens vertraute Person, die namentlich nicht genannt werden möchte: »Durch den Sturm driftete das Schiff nach Norden in indische Gewässer, ursprünglich war es an der Seegrenze zwischen Indien und Sri Lanka positioniert«, erläutert er gegenüber der HANSA. Weil die Behörden des Inselstaats ein Einfahren in seine Gewässer schon vorher prinzipiell untersagt hätten, sei nach dem Abdriften für die nötige Treibstoffaufnahme nur der Weg nach Indien geblieben. Das sei der Plan des Kapitäns gewesen, nicht etwa eine illegale Bebunkerung auf See. Er habe in Richtung Tuticorin gewollt, um dort im Hafen Treibstoff aufzunehmen, was ihm allerdings verwehrt worden sei. Weil aber dringend Treibstoff benötigt wurde, wickelte der für den Einsatz der Schiffe zuständige Sohn des Advanfort-Eigners, Ahmed Farajallah, den Auftrag mit einem Lieferanten ab. Während der Bebunkerung griff schließlich die Coast Guard ein.

Der genaue Ort dieses Eingreifens ist ebenfalls ein Streitpunkt. Der Kapitän und zunächst auch der damalige Advanfort-Präsident William Watson erklärten, dass sich die »Seaman Guard Ohio« in internationalen Gewässern nahe der indischen Hoheitszone befunden habe. Die indischen Behörden bestehen darauf, dass das Schiff bereits näher an der Küste gewesen sei. Dies entwickelte sich zu einem Kernpunkt des Prozesses. Bei Advanfort hatte man die indische Küstenlinie als Ausgangspunkt für die Berechnung der 12sm-Zone angesehen und ging entsprechend von einer Entfernung von 12,8sm aus. Die Küstenwache legte der Berechnung allerdings zwei sehr kleine unbewohnte Inseln zu Grunde, wodurch sich die Hoheitsgewässer weiter von der Küste ausdehnten und die »Seaman Guard Ohio« nur noch 10,8sm von der Küste entfernt war, als der Kapitän angewiesen wurde, Tuticorin anzulaufen. Zudem wurde das »Notfall«-Argument insofern zurückgewiesen, als dass der Kapitän nicht das Maritime Rescue Coordination Centre (MRCC) angerufen hätte, sondern einen Bunkerzulieferer. Dieser beteuerte später vor Gericht, dass er eine Genehmigung für die Lieferung gehabt habe – ebenso wie die Crew, dass die Einfuhr mitsamt der Waffen per Funk übermittelt worden sei und Advanfort, dass es eine Erlaubnis gegeben habe, in geschützteren Gewässern Zuflucht zu suchen. Immer wieder wurden vermeintlich offizielle Genehmigungen vorgelegt, deren Echtheit und ordnungsgemäße Erstellung aber letztlich nicht geklärt werden konnten. Von Korruption und Fälschungen ist die Rede.

Bleibt der zweite schwere Vorwurf der illegalen Waffeneinfuhr: Auch hier gibt es erhebliche Zweifel. »Es hieß, diese Art der Waffen sei nicht erlaubt, das wurde aber wiederlegt«, sagt Peters. Ballistische Experten legten Gutachten vor, wonach die ursprünglich vollautomatischen Waffen in eine Halbautomatik umgerüstet worden seien und damit der Vorwurf der Staatsanwaltschaft haltlos sei. Problematisch aber ist, dass die Ankläger und der Richter dies anders sahen, beziehungsweise, dass die Umrüstung nach indischem Recht nicht ausreicht.

Die anonyme der HANSA meint, dass ohnehin allen Beteiligten klar gewesen sein sollte, dass die Waffen explizit für Anti-Piraterie-Maßnahmen vorgesehen waren und daher von »Einfuhr« ohnehin keine Rese sein könne: »Auch der indischen Regierung war das bekannt.«

Unter Berücksichtigung dieser Einzelheiten wäre mindestens ein Teil der Vorwürfe theoretisch entkräftet. Selbst wenn es bei der illegalen Bebunkerung bliebe, wäre dies nach Ansicht von Ken Peters ein geringes Vergehen, das mit einer Strafzahlung zu lösen wäre.

Bezüglich der Waffeneinfuhr müsste man nach Meinung der Internationalen Transport-Arbeiter-Gewerkschaft ITF zudem zwischen der Crew und den Guards unterscheiden. ITF-Sprecher Dave Heindel ist empört: »Was wir sehen, ist eine Kriminalisierung der Seeleute, die für die Waffen verantwortlich gemacht werden sollen, mit denen sie nichts zu tun hatten. Wie kann man einen Koch für fünf Jahre ins Gefängnis schicken wollen, wenn er lediglich mit Töpfen und Pfannen hantiert?«

Die mit den Vorgängen vertraute Person führt außerdem an, dass sich die Crew und die Guards nichts zu Schulden hätten kommen lassen, selbst wenn man den Kapitän und den Bunker-Lieferanten belangen wollte. »Sie hatten keinen Zugang zu den weggeschlossene Waffen. Erst als die Coast Guard die Herausgabe verlangte, wurden sie hervorgeholt.«

Dagegen wird von verschiedener Seite harsche Kritik am Eigner geübt.

Schwere Vorwürfe an Advanfort

Man könnte meinen, dass sowohl die Seeleute als auch die Guards gewusst haben mussten, worauf sie sich einließen, und sich des Risikos bewusst gewesen sein müssen, als sie bei Advanfort anheuerten. Das mag sein. Diese sensible Situation verpflichtet den Eigner allerdings umso mehr zu einer starken Unterstützung seiner Angestellten, sagen Kritiker. Im Fokus steht daher die US-Firma Advanfort mit ihrem Eigner Samir Farajallah sowie seinem Sohn. »Der eigentliche Skandal ist, dass der Eigner mit Gesetzen, Bürokratie und Versicherungen derart »flexibel« umgehen konnte, wodurch die Crew überhaupt erst in diese Situation geriet«, sagt ITF-Mann Heindel. »Als es zu dem Vorfall kam, ließen sie ihre Angestellten im Stich und wuschen ihre Hände in Unschuld. Advanfort hat es nicht verdient, weiter als Unternehmen zu existieren.«

Nachdem Advanfort zunächst noch rechtlichen Beistand zur Verfügung gestellt und diplomatische Initiativen angekündigt hatte, zog man sich nach dem Richterspruch am Surpreme Court komplett aus dem Verfahren zurück. Persönlich in Indien erschienen war keiner der Verantwortlichen.

Dabei wäre eine Beteiligung zur Klärung des Sachverhalts durchaus angebracht gewesen, auch aus Sicht der indischen Justiz. Die Richter machten mehrfach »ungeklärte« Aspekte geltend, unter anderem in Bezug auf Genehmigungen für die Einfahrt in indische Gewässer, Lizenzen für die Waffen oder den Bunkerauftrag. Daran änderte sich auch nichts, als Advanfort nach eigenen Angaben alle notwendigen Dokumente übermittelte. Das Verhalten des Unternehmens gilt ebenfalls als einer der Gründe dafür, dass sich der Prozess seit Jahren hinzieht.

Anfangs wurden die Hotelrechnungen für die auf Kaution entlassenen Angeklagten noch von Advanfort gezahlt. Aber auch das wurde später eingestellt. Die NGO »Mission to Seafarers« bemüht sich seitdem, die Männer zu unterstützen. »Leider ist Advanfort von der Bildfläche verschwunden, sie ließen Hotelrechnungen unbezahlt. Das frustriert natürlich uns und noch viel mehr die Familien«, sagt Peters. Laut der ITF ist das bei weitem nicht alles an Außenständen. Demnach schuldet das Unternehmen sehr vielen seiner Angestellten sowie Versicherern und Rechtsbeiständen viel Geld.

Zur Führungsriege des Eigners gehörte zu Beginn des Vorfalls auch William Watson, dessen Rolle für so Manchen aber nicht ganz klar ist. »Eine bedauerliche Situation«, sagt Ken Peters. Auch Watson wird in einschlägigen Internet-Foren vorgeworfen, die »Advanfort-35« im Stich gelassen zu haben. Er war rund ein Jahr vor dem Vorfall als »President« – eine Stufe unter Chairman Samir Farajallah – zu Advanfort gekommen. Zu Beginn war er auch in die Entwicklung in Indien beteiligt und versuchte sich für die Gefangenen einzusetzen. Etwa, indem er Kontakt zu den Botschaften der USA, Großbritanniens und Estlands aufnahm.

Kurz darauf, im November 2013, verschwand er allerdings von der Bildfläche und will sich seitdem nicht mehr öffentlich äußern. Offiziell wurden keine Details der Trennung genannt. Advanfort und die Farajallahs äußern sich überhaupt nicht mehr zu der Thematik und reagieren auch nicht auf schriftliche oder telefonische Anfragen.

Nach Informationen der HANSA waren ernste Differenzen bezüglich des Managements zwischen Watson und Farajallah der Grund. Dabei ging es dem Vernehmen nach um die Kompetenzen, die Watson zur effektiven Unterstützung der Männer für nötig erachtet habe, die ihm vom Eigner aber nicht gewährt worden seien. Darüber hinaus habe er nur unzureichend Informationen bekommen und sei von der »illegalen Bebunkerung« erst in Kenntnis gesetzt worden, als es bereits zu spät gewesen sei.

»Behäbige Justiz«

Politische und gesellschaftliche Initiativen bewirken bis heute nur wenig. Seitens der US-Regierung gab es hingegen keine Unterstützung, auch wenn Advanfort dort beheimatet ist. Weil aber weder Crew noch Schiff aus den USA kommen oder dort registriert sind, sieht man in Washington keine Notwendigkeit sich zu engagieren. Nach Ansicht von ITF-Mann Heindel könnten sich die Heimatländer der Betroffenen deutlich stärker einbringen.

Laut Hugo Swire, Staatsminister im britischen Außenministerium, wurde die Problematik insgesamt 30 Mal bei Treffen zwischen britischen und indischen Politikern besprochen, unter anderem auf höchster Ebene zwischen den Premierministern Cameron und Modi. Die Quelle der HANSA berichtet von diplomatischen Initiativen der britischen und estnischen Regierung.

»Wann immer britische offizielle mit indischen Vertretern zusammenkommen, wird darüber gesprochen«, sagt Ken Peters. Seine Organisation sei aber nicht einbezogen. Sie unterstützt die Angeklagten und ihren Familien durch rechtlichen Beistand und finanzielle Mittel. Weil die Männer seit langem keine Heuer mehr bekommen haben, stehen einige Familien mittlerweile vor großen finanziellen Schwierigkeiten.

»Leider führen diese Gespräche auf politischer und diplomatischer Ebene zu keinerlei Ergebnis, außer das die indische Regierung beteuert, keinen Einfluss auf die unabhängige Justiz des Landes nehmen zu können und zu wollen. Das ist nicht zufriedenstellend, weil keiner weiß, worüber geredet wird. So entsteht natürlich der Eindruck, das mehr getan werden könnte«, urteilt der Reverend. Die Organisation »Human Rights at Sea« hat sogar das Europäische Parlament aufgefordert, aktiv zu werden. Relativ früh im Verfahren hatte bereits Sierra Leone als Flaggenstaat Beschwerde bei den indischen Behörden eingereicht.

Die Unabhängigkeit der Justiz will keiner der Beteiligten bestreiten, die Effektivität ihrer Arbeit hingegen schon. Peters nennt das Justizsystem gegenüber der HANSA »behäbig« mit hohem Frustrationspotential: »Es gibt Verzögerung um Verzögerung, eine sehr bedauerliche Konstellation.« Bei den indischen Behörden stoßen die Bedenken offenbar auf taube Ohren. Äußern will sich weder die Justiz noch die Regierung, entsprechende Anfragen bleiben unbeantwortet.

Doch keimt mittlerweile bei den Betroffenen Hoffnung auf. Einen entscheidenden Punkt, der das Verfahren mehr oder minder auf den Kopf stellen könnte, stellt eine Kehrtwende der Justiz dar.

Hoffnung liegt auf Seerecht

Einer der großen Kritikpunkte schon zu Beginn des Verfahrens war die Tatsache, dass die Angeklagten nach indischem Recht vor Gericht gestellt wurden. Nach Ansicht nicht nur von Ken Peters war dies aber unangebracht. Die nationale Rechtsprechung berge großes Risiko für die Seeleute und Guards, heißt es.

Warum aber beharrten die Richter darauf? Die Antwort auf diese Frage liegt in der jüngeren Vergangenheit des Landes: Nach den verheerenden Terroranschlägen von Mumbai im Jahr 2008, als die Angreifer ihre Attacke von See aus starteten, hatte die indische Regierung die Anti-Terror-Gesetze verschärft und auch die Justiz sah sich zu härterem Vorgehen gezwungen. Politiker aller Couleur versuchten sich mit dem Ruf nach härterem Vorgehen zu profilieren. Schwimmende Waffenlager waren den Indern schon immer ein Dorn im Auge. Sie werden als Bedrohung für die nationale Sicherheit betrachtet. Zuletzt verkündete etwa Innenminister Rajnath Singh, dass maritimer Terrorismus eine schwere Bedrohung für das Land sei und die eigenen Gewässer noch besser geschützt werden müssten. Ein Beispiel: In den kommenden Jahren sollen hunderte Drohnen für die maritime Überwachung angeschafft werden. Bei der Bevölkerung kam und kommt das gut an.

Zudem wird hinter vorgehaltener Hand auf die Souveränität Indiens hingewiesen, die selbstverständlich betont werde. Ein Argument: Wie würden sich wohl europäische Staaten oder die USA verhalten, wenn ein Schiff mit einer derartigen Waffenmenge unerlaubt in ihre Gewässer einfährt? Dieser Vergleich hinkt aber insofern, als dass er das unbeabsichtigte Einfahren nicht berücksichtigt.

Der Verweis auf nationales Recht hat in diesem Fall große Bedeutung. Nach Meinung von Ken Peters und des Insiders müsste maritimes Recht nach dem Internationalen Seerechtsübereinkommen (UNCLOS) zur Anwendung kommen, weil es um Seegrenzen und seeseitige Dienstleistungen geht. Nach langem Hin und Her haben sich die Inder tatsächlich darauf eingelassen. Das aktuelle Berufungsverfahren in Tuticorin wird möglicherweise so ablaufen. »Das könnte für die Angeklagten zu besseren Ergebnissen führen, weil das indische Recht sehr streng ist«, sagt Peters, allerdings nicht ohne sich zu ärgern: »Wenn man den maritimen Bezug schon zu Beginn ausreichend berücksichtigt hätte, wäre schnell klar geworden, dass es um das Recht auf »freie Passage« geht. So hätte man sich viel Zeit sparen können.« Im Prozess will er das mit seinen Kollegen nun noch stärker betonen. Dafür hat die NGO einen Anwalt zurück ins Verteidigungsteam geholt, der schon ganz zu Beginn der Entwicklung dabei war, als es noch lediglich um den Arrest des Schiffes ging. Er ist ein Experte für internationales maritimes Recht, dessen Nominierung der Kehrtwende der Justiz Rechnung tragen soll.

Ein Ende des Trauerspiels ist trotzdessen noch immer nicht in Sicht. Schon vor Monaten war der 1. Juni für eine neue Anhörung anberaumt worden. Doch das Verfahren wurde auf Antrag der Staatsanwaltschaft seitdem schon wieder zwei Mal verschoben, zunächst auf den 15. Juni, an jenem Tag noch einmal. Man brauche mehr Zeit, um sich in die Thematik einzuarbeiten, hieß es.

Die Mission to Seafarers und die ITF wollen aber nicht aufgeben, sie ziehen Optimismus aus der Berücksichtigung des internationalen Schifffahrtsrechts. »Wir hoffen auf einen Freispruch oder eine kleine Strafe wegen der vermeintlichen illegalen Bebunkerung«, sagt Ken Peters. Dave Heindel setzt erneut auf die Politik: »Möglicherweise sehen wir am Ende doch noch Verhandlungen, die es den Angeklagten schlussendlich ermöglichen, etwaige Strafen in ihren Heimatländern abzusitzen.«

Wie und wann auch immer das Verfahren ausgehen mag. Es ist kein Ruhmesblatt, weder für die indische Justiz, noch für Advanfort. Auf dem Rücken von 35 Männern – wie schuldig oder unschuldig sie auch sind – wird ein jahrelanger Streit ausgefochten, den man sicherlich auch unkomplizierter hätte führen können. Zudem zieht der Schiffseigner den Kopf ein und versteckt sich vor den Folgen seines Tuns, worunter der Ruf der Schifffahrts- und Sicherheitsbranche langfristig zu leiden droht.