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Der gegenwärtige Sturm in der Schifffahrt betrifft Banken und Reeder gleichermaßen. Ein Sprichwort besagt: »Wenn Stürme wehen, bauen manche Schutzwälle und manche Windräder.« Wie könnten daher Handlungsoptionen für Banken, Reeder und sogar die Politik aussehen?
Schifffahrt und Frachtraten basieren auf Zyklen, in denen Angebot und Nachfrage nach Transportkapazität stark variieren. Dabei war die letzte Boomphase[ds_preview] sehr ergiebig, sowohl in absoluten Zahlen als auch in ihrer zeitlichen Dauer. Dies war wohl der Grund, warum sich manche Industriebeteiligten kritisch äußerten, als Ende 2007 die HSH Nordbank zum ersten Mal ihre Kreditbücher schloss.

Zur Erinnerung: Damals stieg die allgemeine Risikoaversion enorm, da sich die antizipierten Subprime-Risiken in den Vereinigten Staaten, die Ausfallrisiken Islands etc. realisierten, was zu einer Vertrauens­krise führte und im Kontext der global verbreiteten und auch von der BaFin erlaubten weitreichenden Fristentransformation den Markt für kurzfristige Liquiditätsgeschäfte austrocknete.

Die Risikoaversion der Banken nahm aufgrund der ballonartigen Aufblähung der Eigenkapitalunterlegung (EKU) für die in den Büchern gehaltenen Risiken zu; und seitdem werden Geschäftsmodelle von Reedereien – und nicht mehr jene von einzelnen Schiffen – in nie gekanntem Maße (über-)analysiert. So verbrauchten 2008/2009 Reedereien ihre vorhandenen Reserven ent­weder für Schiffe, die nicht kapitaldienst­deckend beschäftigt waren, oder für das obligatorische Neubauprogramm. Dabei können die damaligen Kontraktpreise im Vergleich zu heutiger Alt- und Neutonnage als »astronomisch« bezeichnet werden – und nicht wenige Reeder bereuen heute, nicht zum damaligen Preisniveau ausgestiegen zu sein.

Als Schuldige der Krise wurden einhellig die Banken angesehen, welche im Falle der HSH und der Commerzbank auch noch mit öffentlichen Mitteln gerettet werden mussten. Ein mehrjähriges »Bankenbashing« – teilweise sogar von den Eigentümern selbst praktiziert – war die Folge, was leider Zeit kostete und den Fokus von zwei entscheidenden, eng miteinander verbundenen Fragen ablenkte:

1. Wie kann man Banken helfen?

Offenbar wurde mehrheitlich erst 2012 realisiert, dass die von Politik und Bankenaufsicht verschärften Eigenkapitalanforderungen für Banken und die Renditeforderungen der Bankeigentümer (unter anderem zur Vermeidung von erneuten Stützungsmaßnahmen) der entscheidende Grund für die mangelnde Konzessionsbereitschaft der Banken waren. Denn parallel zur Finanzkrise wurden die Geschäftsmodelle der schiffsfinanzierenden Banken ständig restrukturiert, mitunter mit markt- und reederschädigenden prozyk­li­schen Effekten.

Jedoch wurden aus der Sicht des Autors strategische Interessen der Bundesrepublik nicht ausreichend berücksichtigt. Das integrierte Geschäftsmodell »Made in Germany« basiert a) auf importierten und exportierten Warenströmen, für die b) Schiffe und c) Finanzierungskanäle für Schiffe benötigt werden. Dabei ist die globale maritime Transportdienstleistung eine – im Gegensatz zu anderen – wachsende Industrie. Wenn Deutschland und Hamburg eine strategische maritime Politik verfolgen würden, ist die politische und bankaufsichtsrechtliche Handlungsmaxime evident: Banken müssen für die Assetklasse »Schiff« bei der EKU temporär ein die aktuelle Krise reflektierendes Privileg erhalten.

Durch die Einführung eines zyklusabhängigen Faktors (z.B. 0,8) bei der EKU sinken in der Krise das pro Finanzierung gebundene Eigenkapital, die Höhe der Einzelwertberichtigungen, die liquiditätswirksamen Bilanzrückstellungen und letztlich das Risiko für Stützungsmaßnahmen durch Bankgesellschafter. Im Boom steigt der Faktor (z.B. 1,2) und orientiert sich an langfris­tigen Durchschnittswerten.

Der beschriebene Ansatz lehnt das Paradigma des freien Spiels marktwirtschaft­li­cher Kräfte ab, stellt dem Schiffsfinanzierungsmarkt ein antizyklisches Korrektiv zur Verfügung und stärkt die symbiotische Beziehung zwischen deutschen Reedern und Banken. Der Faktor hilft zugleich finanzierungs- und spekulationsgetriebene Neubauprogramme – wie früher – durch ladungsgetriebene Neubestellungen zu ersetzen.

2. Wie kann man Reedern helfen?

Es gibt erstaunlich viele Krisenbewäl­tigungsmittel, die allein in der Verantwortung des Reeders liegen und die kein »Frachtratenwunder« mit Auslastungsquoten oberhalb von ca. 87 % benötigen. Dabei konzentriert sich der Autor an dieser Stelle auf Mittel, die zu sogenannten Win-Win-Situationen zwischen Reedern und Banken führen. Denn nur so kann das Geschäftsmodell des Reeders in die nächste Generation überführt werden.

I. Zunächst muss der Reeder aus Eigeninteresse sein Geschäftsmodell überprüfen. Dies setzt eine solide Datenbasis voraus, die einnahmeseitig einen Vergleich zum jeweiligen Marktsegment ermöglicht und somit das Befrachtungsgeschick des Reeders offenlegt. Das Befrachtungsgeschick ist ein relativ konstanter Wert, der gut für Extrapolationen verwendet werden kann. Als Basis der Zukunftswerte kann man lang­jährige T/C-Durchschnittswerte oder T/C-Progno­sen, wie etwa von Maritime Strategies International (London) oder Marsoft (Boston), verwenden. So einfach dies klingt, so selten wird es allerdings im Markt praktiziert. Aus diesen Daten ergibt sich sehr leicht die aktuelle und zukünftige Verschuldungskapazität des Reeders. Dabei kommt es nicht darauf an, in eine Kristallkugel zu blicken, sondern nur darauf, mit Ex-ante-Sicht ein plausibles Szenario zu entwickeln und gegebenenfalls mit Stresstests zu prüfen, ob das Modell innerhalb dessen erfolgreich sein kann.

II. Anschließend sollte die Kongruenz ­zwischen Geschäftsmodell und Kapitalstruktur überprüft werden. Banken stehen für diese Aufgabe gern zur Verfügung, da sie bei der Optimierung der Fremdkapitalstruktur ­ra­tingschonende Gesichtspunkte zum Wohle beider Seiten berücksichtigen können, wie Tilgungsaussetzungen oder Profilstreckungen. Daneben gibt es in diesem Restrukturierungsprozess zahlreiche weitere Instrumente, deren Anwendung von verschiedenen Philosophien und Fairness-Erwägungen abhängt, welche Banken durchaus zu berücksichtigen bereit sind. In der Vereinbarung eines ausgewogenen Katalogs von Instrumenten, die Reeder und Banken gemeinsam aktiv entwickeln und die dem Geschäftsmodell ideal entsprechen, liegt die eigentliche Kunst der Restrukturierung.

III. Sehr wichtig, aber häufig unterschätzt, sind die korrekte rechtliche Dokumentation der Restrukturierung sowie die Kenntnis der banktechnischen Bedeutung der Klauseln des Darlehen- und des Derivatevertrages. Wenn man schon diesen beschwerlichen Weg der Restrukturierung geht, sollten ex ante mindestens drei Jahre Sicherheit für Vertragstreue angestrebt und erfüllbare Nebenbedingungen vereinbart werden.

IV. Daneben ist die Einführung von State-of-the-art-Reportingmechanismen notwendig. Der Autor hat in der Praxis Reedereien gesehen, deren gesamte Liquiditätsplanung nicht nur auf eine Seite Papier passte, sondern auch alles an Planungen darstellte, was die Reederei überhaupt besaß. Die Schifffahrtsbranche verfügte historisch über niedrigschwellige Finanzierungskanäle, um die sie jeder Mittelständler aus einer anderen ­Branchen beneiden würde. Welches Unternehmen mit beispielsweise 400 Mitarbeitern (ca. zehn Schiffe) würde es schaffen, 150 Mio. $ Fremdkapital aufzunehmen?

»Unabhängig von der Branche gilt als gesichert, dass nicht Kostenführer, sondern Innovationsführer am besten eine Krise bewältigen«

Schließlich geht es auch um neue Fähigkeiten. Viele Reeder sind nicht nur in der Anzahl der Schiffe, sondern auch in der Schiffsgröße gewachsen. Zugleich wurden die regulatorischen Anforderungen im operativen Schiffsbetrieb und in der Finanzierung komplexer denn je. All dies kann nur dazu führen, dass der Erfolg einer Restrukturierung nicht allein mit Kapitaldienstfähigkeit oder Erfüllung von Nebenpflichten bemessen werden sollte.

Entscheidender ist die Erweiterung der Managementfähigkeiten, sodass man auf alle bekannten und sogar auf unbekannte Risiken vorbereitet ist und dafür proaktiv entsprechende Lösungen in der Schublade bereithält. Sonst sollte ein Ausstieg geprüft werden. Ein dem Autor persönlich bekannter Reeder lebt mit der Devise »no more surprises«. Dies geht nur dann, wenn eine permanente Geschäftsmodelloptimierungs- und Risikokontrollkultur gelebt wird.

Einige Beispiele, die oben Genanntes demonstrieren, sind die Kenntnis der genauen Berechnung der Frist zur Ziehung eines Stundungsdarlehens, um den »korrekten« Libor ohne teure Zuschläge zu erhalten. Oder die Streckung von negativen Marktwerten bei Derivaten, um den Kapitaldienst zu reduzieren und möglicherweise von einer ansteigenden Zinskurve zu profitieren. Oder die richtige Berechnung von Rangausläufen, sowohl bei der Frage der Ermittlung der Schiffswerte als auch bei der Berücksichtigung von Zusatzsicherheiten. Oder die Fähigkeit einer rechtlich präzisen Bankkommunikation, die konstante Anwendung von insolvenzrelevanten Gesichtspunkten etc. Und schließlich – nicht zu unterschätzen – bei alldem eine harte Verhandlungskultur, jedoch mit stets gutem Willen. Die Krise bietet in zweifacher Hinsicht große Chancen für eine Repositionierung von Reedereien. Zum einen ist es bei der Beachtung der oben genannten Erwägungen recht einfach, einen Finanzierungs- und letztlich Marktvorteil gegenüber Wettbewerbern zu erzielen. Zum anderen können im Rahmen der Restrukturierung nachhaltige Lösungen mit Banken vereinbart und damit trotz der tiefen Krise günstig Sicherheiten eingekauft werden. Denn unabhängig von der Branche gilt als gesichert, dass nicht Kostenführer, sondern Innovationsführer am besten eine Krise bewältigen.

Julian Kubilay Falkenberg