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Die Schiffsneubauten der Meyer Werft müssen vor ihrer ersten großen Reise durch ein regelrechtes Nadelöhr: Passiert werden die Dockschleuse-Papenburg, die Friesenbrücke bei Weener und die Jann-Berghausbrücke bei Leer. Wie die Erfassung von Winddaten die Passage sicherer macht, beschreiben Professor Jan Luiken ter Haseborg und Helge Flielitz
Einführung

Die Überführung der Schiffsneubauten der Meyer Werft (Abb. 1) über die Ems von Papenburg zur Nordsee ist[ds_preview] eine besondere Herausforderung für die Werft und die Lotsen an Bord. Die Navigation auf dieser Fahrt ist insbesondere eine Meisterleistung der Lotsen der Lotsenbrüderschaft Emden. Es ist in den vergangenen Jahren dafür von der Werft und den Lotsen ein Prozedere auf sehr hohem Sicherheitsniveau entwickelt worden, das die Überführung der Schiffe unter Berücksichtigung aller nur denkbaren Sicherheitsaspekte ermöglicht. Hier hat sich u.a. die Rückwärtsfahrt mit eigener Kraft unter Beteiligung zweier Assistenzschlepper als äußerst praktikabel erwiesen. Insbesondere die Passage der drei bekannten Engstellen wie Dockschleuse-Papenburg, Friesenbrücke bei Weener und Jann-Berghausbrücke bei Leer stellen an die Navigation besondere Anforderungen.

Unter den verschiedenen Einflussfaktoren spielt der Wind (Windrichtung und Windstärke) eine besondere Rolle. Insbesondere Kreuzfahrtschiffe mit ihren hohen Aufbauten bieten dem Wind eine nicht zu unterschätzende Angriffsfläche (Segelfläche). Daher sind die Überführungen auch nur bis zu einer festgelegten maximalen Windstärke möglich. Aber auch unterhalb dieser kritischen Windstärke werden bei der Navigation ständig Windrichtung und -stärke beobachtet und berücksichtigt. Insbesondere bei relativ breiten und langen Kreuzfahrtschiffen müssen diese Daten verlässlich zur Verfügung stehen, um die sichere Passage zu gewährleisten.

Problemlösung

Die Messung von Windrichtung und Windstärke ist Stand der Technik. Allgemein gibt es bei Windmessern – sogenannte Anemometer – zwei Messprinzipien: zum einen rotierende Anemometer (Schalenanemometer), zum anderen solche, die auf Ultraschallbasis funktionieren und damit keine rotierenden Teile mehr enthalten. Grundsätzlich besteht die Möglichkeit, Winddaten, die von den an Bord installierten Anemometern und/oder von landbasierten Messstellen detektiert werden, für die Navigation zu nutzen. Die an Bord verfügbaren Anemometer liefern nicht unbedingt verlässliche Daten, da es sich hier nicht um den »wahren«, sondern um den »scheinbaren Wind« handelt. Ein weiterer Punkt, der die Verwendung der schiffseigenen Anemometer als nicht geeignet erscheinen lässt, ist die Tatsache, dass abhängig von dem Installationsort des Anemometers auf dem Schiff relativ zur wahren Windrichtung Fehlmessungen z.B. durch Verwirbelungen oder sonstige strömungstechnische Einflussparameter, verursacht durch die Schiffsstruktur und die Aufbauten, auftreten können.

Anfang des Jahres 2013 haben die Werft, die Lotsen und die Technische Universität Hamburg-Harburg eine Möglichkeit diskutiert, wie in der Nähe der oben erwähnten Engpässe verlässliche Winddaten speziell für den jeweiligen Engpass den Lotsen an Bord zur Verfügung gestellt werden können.

Ergebnis dieser Diskussion war, dass für die anspruchsvolle Navigation der Schiffe durch die erwähnten Engpässe ausschließlich landbasierte Anemometer infrage kommen, die nahezu unbeeinflusst z.B. von Bauwerken und Bäumen in einer ausreichenden Höhe in der Nähe der jeweiligen Engpässe die Windrichtung und die Windstärke messen. Die so detektierten Messwerte sollen dann drahtlos an Bord der Schiffe übertragen werden können.

Eine ausreichende Höhe bedeutet unter Berücksichtigung der Höhe der zu überführenden Schiffe Werte von ca. 50m. Soweit Hochspannungsmasten in der Nähe der Engstellen vorhanden sind, sollen diese als Träger der Messstationen dienen. Dieses klingt zunächst unproblematisch, da die drahtlose Datenübertragung als Stand der Technik betrachtet werden muss. Die Probleme liegen hier allerdings im Detail und werden im Folgenden kurz skizziert:

– redundante Datenübertragung, d.h. zwei voneinander unabhängige Übertragungssysteme, die mit zwei verschiedenen Frequenzen arbeiten, sollen die Übertragung sicherstellen;

– jeweils für die drei Engpässe drei Anemometer (Messstation) mit jeweils einem Sendeteil;

– ein Empfangsmodul an Bord der zu überführenden Schiffe;

– ausreichende elektrische und mechanische Robustheit;

– Sicherstellung der elektromagnetischen Verträglichkeit (EMV);

Genehmigung der Energieversorgungsunternehmen, Hochspannungsmasten als Sensorträger nutzen zu dürfen;

– Montage der Messstationen in den Hochspannungsmasten durch von den Energieversorgungsunternehmen autorisierte Firmen;

– elektrische Versorgung der landbasierten Messstationen in den Hochspannungsmasten;

– abhängig von der Reichweite der beiden Übertragungssysteme einerseits und der geografischen Lage der landbasierten Messstationen andererseits muss sichergestellt sein, dass das Empfangssystem an Bord immer nur die von der zuständigen Messstelle gültigen Messwerte für die jeweilige Engstelle empfängt;

– Darstellung der Winddaten auf dem für die Überführung speziellen Conning-Display auf der Schiffsbrücke.

Das Winddatenmesssystem arbeitet bei zwei unterschiedlichen Frequenzen: ISM-Band mit 2,4 GHz nach dem Bluetooth-Verfahren und UHF mit 868 MHz, um die geforderte Redundanz sicherzustellen. Das System prüft zunächst, ob eine Verbindung via Bluetooth aufgebaut werden kann. Wenn dies möglich ist, erfolgt die Datenübertragung im ISM-Band. Ist dies nicht möglich, wird automatisch auf das UHF-System umgeschaltet. Tests haben ergeben, dass die Reichweite bei Bluetooth bei ungefähr 1,5km liegt, während mit dem UHF-Modul ca. 20 bis 30km überbrückt werden können.

Die Signale der drei landbasierten Messstationen sind mit einer Kennung versehen. Die Empfangsstation an Bord verfügt über ein GPS-Modul und ist damit in der Lage, abhängig von der Position des Schiffes die für den Engpass richtigen Winddaten zu empfangen. Da die drei Messstationen weniger als 20km auseinander liegen, wird deutlich, dass prinzipiell an allen Engpässen die drei UHF-Signale empfangen werden können und daher ein ortsspezifischer Empfang sichergestellt werden muss.

Das Gesamtsystem ist bereits vollständig entwickelt und erprobt. Bei einer ersten Ausbaustufe wurde das System bei der Überführung der »Celebrity Breakaway« und bei einer weiteren Ausbaustufe bei der Überführung der »Celebrity Getaway« erfolgreich eingesetzt. Die Winddaten für die Dockschleuse in Papenburg, die Friesenbrücke bei Weener und die Jann-Berghausbrücke bei Leer werden auf die Brücke der zu überführenden Schiffe übertragen und in einem Conning-Display dargestellt, wo sie dem Überführungsteam zur Verfügung stehen. Damit sind für die drei genannten Engstellen verlässliche Winddaten auf der Schiffsbrücke erhältlich.

Während sich die Windmessstationen für die beiden Brücken bei Weener und Leer in Hochspannungsmasten befinden, hat sich für die Dockschleuse eine Position in einem der Werftkräne als günstig erwiesen. Die elektrische Versorgung der Stationen auf den Hochspannungsmasten erfolgt über leistungsstarke Batterien, die über Solarzellen nachgeladen werden, während die Versorgung der Station auf dem Werftkran durch die örtliche Stromversorgung erfolgt.

Die Abb. 2 und 3 zeigen das in einem Hochspannungsmast in der Nähe der Jann-Berghausbrücke befindliche Windmess- und Sendesystem. Zu erkennen sind in Abb. 3 das Anemometer und die beiden Antennen (lange Antenne für das Bluetooth-System, kleine Antenne für das UHF-System). Die Abb. 4 und 5 zeigen die Empfangsstation auf dem Schiff (hier auf der »Norwegian Getaway« auf Deck 17). Zu erkennen sind wieder die beiden Antennen und zusätzlich eine UMTS-Antenne, um unter Umständen die Übertragung von Land aus kontrollieren zu können. Das Empfangssystem an Bord wird nach der Überführung über die Ems wieder abgebaut, während die landbasierten Systeme auf Dauer montiert bleiben.


Jan Luiken ter Haseborg, Helge Fielitz