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Mit einer europaweit einmaligen Testanlage will das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz an seinem Standort Bremen Forschung und Entwicklung im Bereich maritime Technologien voranbringen

Ein 3,4Mio. l fassendes Salzwasserbecken, 23m lang, 19m breit, 8m tief, ausgestattet mit einer 3D-Landschaft sowie Modellbauten wie dem[ds_preview] skalierten Modell eines Tripod-Fundaments, einer Pipeline, einem Offshore-Öl- und Gas-Kontrollpanel sowie einem Fischnetz: Das ist das Herz der Maritimen Explorationshalle, die das Robotics Innovation Center am Bremer Standort des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz (DFKI) kürzlich offiziell in Betrieb genommen hat. Hinzu kommen zwei kleinere Wasserbassins, eins davon abdunkel- und eintrübbar, eine virtuelle 3D-Testumgebung und eine Druckkammer, die Drücke von bis zu 600 bar (entspricht einer Wassertiefe von 6.000m) erzeugen kann. Die nach DFKI-Angaben europaweit einmalige Testanlage soll dabei helfen, Unterwasserroboter zu entwickeln und zu erforschen. »Dafür haben wir uns hier die perfekte Laboreinrichtung geschaffen«, sagt Professor Frank Kirchner, Direktor des Robotics Innovation Center, zufrieden. Und auch Uwe Beckmeyer, Maritimer Koordinator der Bundesregierung, zeigte sich bei der Eröffnung der Halle Ende April angetan. Sie werde einen wichtigen Beitrag zur Erschließung neuer Märkte leisten, stellte der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundeswirtschaftsminister in seiner Eröffnungsrede fest.

Autonome Systeme sollen Offshore-Fundamente reparieren

Ob Windenergie, Öl- und Gasförderung, Tiefseebergbau oder Schifffahrt – das Meer bietet zahlreiche Möglichkeiten der wirtschaftlichen Nutzung, und für alle werden innovative Technologien benötigt. Das DFKI entwickelt mobile Robotersysteme, die künftig an Orten eingesetzt werden sollen, die für Menschen entweder zu gefährlich oder unerreichbar sind. Ziel ist es nach eigenem Verständnis, Forschungsergebnisse schnell in praxisnahe Anwendungen für Wirtschaft und Gesellschaft umzusetzen. Eines der Themenfelder, mit dem sich die Wissenschaftler derzeit besonders intensiv befassen, ist die Offshore-Windenergie. »Bisher ging es in erster Linie um die Frage, wie Offshore-Windparks gebaut werden«, sagt Professor Kirchner. »Jetzt, wo sie langsam in Betrieb gehen, zeichnet sich ein Bedarf an Systemen ab, die dauerhaft die Leistungsfähigkeit der Anlagen erhalten.« Hier könne die Robotik massiv zur Kostensenkung beitragen, da sie in Zukunft Wartungs- und Reparaturarbeiten beispielsweise an Fundamenten effizient und witterungsunabhängig ermöglichen werde.

Der Forscher geht davon aus, dass autonome Unterwasserroboter künftig als ein fester Bestandteil von Windparks permanent an Ort und Stelle bleiben werden. »Wir arbeiten daran, wie man Offshore-Windkraftanlagen immer automatischer betreiben kann, und aus meiner Sicht muss man auch so weit denken: Nur so wird man perspektivisch einen rentablen Betrieb erreichen können.« Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass Lösungen unter anderem für Fragen der Mobilität, der Navigationsfähigkeit und der Intervention gefunden werden – dass der Roboter also weiß, wann er einzugreifen und was er in diesem Fall zu tun hat. Darüber hinaus muss gewährleistet sein, dass das Material der Geräte langfristig den rauen Offshore-Bedingungen standhält und ihre Energieversorgung geregelt ist. Für all das bietet die Maritime Explorationshalle laut Kirchner ideale Testbedingungen. »Testläufe sind hier von der Witterung unabhängig, kontrollier- und beobachtbar, und vor allem sind sie realitätsnah«, erläutert er. Das »technische Orchester« der neuen Halle ermögliche es, komplette Systeme in ihrer Funktionalität zu erforschen.

Nachhaltige Lösungen für den Tiefseebergbau

Auch in der Schifffahrt können die in Bremen entwickelten Technologien eingesetzt werden, beispielsweise zur Inspektion von Schiffsrümpfen. Darüber hinaus arbeitet das DFKI aktuell im Auftrag eines brasilianischen Unternehmens an einem Unterwasserfahrzeug, das Offshore-Öl und Gasplattformen autonom inspizieren soll. Und nicht zuletzt sieht Kirchner ein weiteres Anwendungsfeld der robotischen Systeme im nachhaltig umweltschonenden Erschließen von Bodenschätzen und Energiereserven aus der Tiefsee. Bisherige Lösungen beispielsweise zum Abbau von Manganknollen würden eher rabiat vorgehen und dabei die Oberfläche des Meeresgrundes zerstören: »Die biologischen Prozesse verlaufen da unten sehr langsam, und was man einmal mit einem Raupenfahrzeug kaputt gemacht hat, ist in 50 Jahren immer noch nicht wieder da. Ich bin darum sehr dafür, dass man noch einmal über die Technologien nachdenkt, die man in diesem Bereich einsetzen will.« Technisch sei es machbar, die Knollen mit schwimmenden Greifsystemen aufzusammeln und dabei ähnliche Geschwindigkeiten wie bei den Raupensystemen zu erreichen. Letztlich sei das eine gesellschaftliche Frage, so Kirchner. »Wir wissen nicht, welche Eingriffe am Ende welche Folgen nach sich ziehen, darum sollten wir da vorsichtig sein.«

In den vergangenen Jahren hat das Robotics Innovation Center, an dem Informatiker, Konstrukteure, Biologen, Mathematiker, Computerlinguisten, Industriedesigner, Elektrotechniker, Physiker und Psychologen interdisziplinär zusammenarbeiten, bereits diverse Lösungen für unterschiedliche Einsatzfelder entwickelt: So befassen sich die Wissenschaftler nicht nur mit der Unterwasserrobotik, sondern auch mit Anwendungen für den Weltraum und für »irdische« Bereiche wie Elektromobilität, Logistik und Landwirtschaft. Für den Einsatz im Meer sind unter anderem die autonomen Unterwasserfahrzeuge »Avalon« und »Dagon« entstanden, die wegen ihrer geringen Größe auch in beengten Umgebungen Karten erstellen sowie Inspektionsaufgaben erledigen können. Für erschwerte Sichtbedingungen durch aufgewirbeltes Sediment, bei denen mit Kameras ausgestattete Tauchroboter bisher schnell an ihre Grenzen gestoßen sind, soll zudem künftig der autonome Unterwassergreifer »SeeGrip« zur Verfügung stehen. Dieses dreifingrige Manipulationssystem ist mit mehr als 2.000 Sensoren ausgestattet und kann in Wassertiefen von bis zu 6.000m sein Umfeld durch Ertasten erkunden, Informationen also durch Berührung bereitstellen.

Letzte Praxistests in der Ostsee

»Die Lösungen sind da«, betont Kirchner, »jetzt müssen wir sie noch optimieren und robuster gestalten.« Dabei werde die Maritime Explorationshalle eine wichtige Rolle spielen. Wenn alle wissenschaftlichen Fragen beantwortet sind und die Systeme im Salzwasserbecken bewiesen haben, dass sie stabil funktionieren, soll in einem nächsten Schritt ihre praktische Handhabung im offenen Meer getestet werden. Als Testumfeld hierfür ist das künstliche Riff Nienhagen in der Ostsee ca. 8 km westlich von Warnemünde und nördlich des Ostseebads Nienhagen vorgesehen. »Danach werden wir einen Reifegrad erreicht haben, der es der Industrie ermöglicht, unsere Unterwasserroboter tatsächlich in der Praxis einzusetzen«, ist er überzeugt. Apropos Industrie: Die wird noch in einem zweiten Punkt von der neuen Laboranlage profitieren können, denn grundsätzlich soll sie auch externen Nutzern zur Verfügung stehen. Unternehmen und Forschungseinrichtungen, die selbst maritime Technologien entwickeln, können die Halle daher bei Bedarf zu eigenen Tests anmieten.


Anne-Katrin Wehrmann