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In der Abwrack-Branche bereiten der Stahlpreis und Überkapazitäten Sorgen. Auch die noch nicht in Kraft getretene »Hong Kong Convention« ist ein wichtiges Thema. Ein neuer Markt für Verschrottungen könnte derweil in Europa entstehen, meint ein Branchenkenner.
Nach wie vor werden die mit Abstand meisten Schiffe in Indien abgewrackt. Bis Ende Februar wurden dort nach Berechnungen von[ds_preview] VesselsValue.com innerhalb eines Jahres 188 Einheiten mit 1,97Mio. ldt verschrottet oder dorthin zur Verschrottung verkauft – ziemlich genau jedes dritte aller Schiffe, die in diesem Zeitraum ihre letzte Reise antraten. In der Rangliste der wichtigsten Standorte folgen auf Rang 2 und 4 die beiden Nachbarn Indiens: Bangladesch (123 Schiffe, 1,2Mio. ldt) und Pakistan (64 Schiffe, 919.80 ldt). Dazwischen rangiert China. Auf den Werften der Volksrepublik wurden 72 Frachter verschrottet, deren Gesamtkapazität allerdings mit 817.700 ldt unter der des pakistanischen Marktes liegt. Mit einigem Abstand hat sich die Türkei vor allem dank der Aufträge für die Aliaga-Werft als fünftgrößter Standort etabliert: 14 Einheiten mit zusammen 113.700 ldt wurden dort in zwölf Monaten verwertet. Südasien ist nach wie vor die wichtigste Region der Abwrack-Industrie – zumindest in Bezug auf den Durchsatz. Denn offiziell gibt es in China mehr Kapazität. Die Werftbranche weist ein höheres Angebot aus. Das liegt aber vor allem daran, dass – ähnlich wie im Reparaturwettbewerb zu beobachten – viele »normale« Bauwerften mangels Auslastung ihre Anlagen auch für Verschrottungen anbieten.

Insgesamt lässt sich ein Überangebot an Kapazität beobachten, sagt Henning Gramann, Inhaber des deutschen Dienstleisters GSR Services. Zudem belastet das Geschäft ein weiterer Faktor: der Stahlschrottpreis. Er ist die Einnahmequelle für die Recycler, die mit Einzelteilen der von ihnen abgewrackten Schiffe handeln. »Der drastisch gesunkene Stahlschrottpreis ist sehr problematisch für die Branche. Die Werften sind derzeit zurückhaltend, was den Kauf von Schiffen zum Verschrotten angeht«, so Gramann. Auch haben Reeder in der zweiten Jahreshälfte 2014 einige Abwrack-Projekte verschoben, weil die Erlöse aus den Verkäufen nach einem Preisverfall um rund 30% nicht ausreichten. Einige hoffen und hofften außerdem darauf, dass die Frachtraten ihren Tiefpunkt erreicht haben und das Geschäft bald wieder anzieht – mit einer entsprechend gestiegenen Nachfrage nach Tonnage.

Wo die Entwicklung kurz- oder mittelfristig hinführt, ist nicht ganz klar. Laut dem GSR-Chef herrscht im Markt sehr viel Unruhe und Unsicherheit. Experten gehen nicht von einer kurzfristigen Erholung mit signifikant spürbaren Impulsen aus. Nach dem Rekordjahr 2012 gab es Rückgänge in den beiden folgenden Jahren. Zuletzt war seit Jahresbeginn aber wieder ein Anstieg der Raten zu beobachten.

Zu den wichtigsten treibenden Faktoren gehört die Weltwirtschaft. Zieht sie stärker an, wachsen die Bautätigkeit und der Bedarf an Stahl. 2014 war jedoch in Südasien die Nachfrage nach Stahl geringer, weil es günstigere Importe von Stahlprodukten aus China gab. In der Branche wurde bereits über positive Auswirkungen einer möglichen Importbesteuerung in Pakistan spekuliert. Auch ein Abschwächen der chinesischen Exportwirtschaft könnte entsprechende Folgen für den Stahlpreis haben.

Profitieren dürften die Werften von den nach wie vor existierenden Tonnage-Überkapazitäten in der Handelsflotte. In der Containerschifffahrt werden sehr wahrscheinlich noch eine ganze Reihe von Panamax-Frachtern aussortiert, weil sie mittelfristig nach dem Ausbau des Panamakanals zunehmend von größeren Einheiten abgelöst werden – trotz des derzeitigen Ratenaufschwungs in ihrem Segment. Auch wenn sich die Verschrottungen 2014 noch zurückhielten: Entweder werden diese Frachter abgewrackt oder – vereinfacht gesagt – sie verdrängen ihrerseits kleinere Schiffe, die dann nicht mehr benötigt werden.

Zu den Box-Carriern kommen auf dem Scrap-Markt derzeit immer mehr Massengutfrachter. Nach dem Order-Boom vor einigen Jahren hat sich eine enorme Flotte aufgebaut, für die es zum Teil nicht ausreichende Ladung gibt. Weitere Neubauten werden erwartet. Schon in den vergangenen Wochen ist die Abwracktätigkeit der Bulk-Reedereien stark gewachsen. Auch viele Capesize-Schiffe werden verwertet. »Ich denke schon, dass es durch diese Entwicklungen eine Verbesserungen für die Werften geben wird«, sagt Gramann. Als »schwer vorhersehbar« bewertet der Experte die Entwicklungen im Tanker-Segment. Im vergangenen Jahr waren von Verschrottungen vor allem kleinere Segmente betroffen.

Potenzial in Europa

Nicht erst seitdem sich die Europäische Union aus umweltpolitischer Motivation in die Debatte um Schiffsverschrottungen eingebracht hat, wird auch über die hiesige Werftindustrie als möglicher Scrap-Standort gesprochen. Weil der Neubau-Markt am Kontinent in der Vergangenheit drastisch zusammengebrochen war, wurde das Abwrack-Geschäft immer wieder als Betätigungsfeld genannt. Gramann meint, Potenzial erkennen zu können; und zwar im Norden und Süden: »Ich sehe Chancen für neue Standorte in Europa. Wenn man die vorhandene Werftkapazität klug nutzt, könnte man durch einen hohen Durchsatz den Marktführern in Asien Geschäft abnehmen.« Moderne und effiziente Technik sei in vielen Fällen vorhanden. Dadurch könne eine Verschrottung schneller durchgezogen werden. Durch das höhere Tempo könnten seiner Meinung nach auch mehr Schiffe verschrottet werden als bei den Konkurrenten, wodurch deren Preisvorteil kleiner wird.

Ob die europäischen Werften diesen Markt überhaupt für sich gewinnen wollen, ist indes unklar. Offizielle Verlautbarungen gab es bislang dazu nicht – auch nicht im Zuge der EU-Verordnung. Ein Thema ist es für die Beteiligten dem Vernehmen nach aber schon. Aktuell will sich auf Nachfrage weder die europäische Interessenvertretung CESA (Community of European Shipyards Association) noch der deutsche Verband für Schiffbau und Meerestechnik (VSM) zu einem Markteintritt äußern. In der Werftindustrie gibt es unterschiedliche Meinungen, wie zu hören ist. Als eines der größten Hindernisse gilt bei den Unternehmen der Preis der asiatischen Wettbewerber, mit dem man aus ökonomischen Gründen nicht mithalten könne. Auch scheuen sich offenbar einige Werften, ihre »traditionellen« Märkte zu verlassen.

In den Augen Gramanns gibt es dennoch Möglichkeiten. Die Europäer müssten sich einen eigenen Markt suchen. »Bei normaler Handelstonnage wird es wohl eher schwierig bleiben«, sagt er. Bedarf gebe es aber in anderen Bereichen: bei Marine-Schiffen – vor allem aus Frankreich und Großbritannien – sowie kleinen und komplexen Einheiten. Für kleine Schiffe ist die Überführung nach Asien oder in die Türkei oft vergleichsweise teuer. Das spräche für ein Verschrotten vor Ort. Zu den komplexeren Einheiten zählt er neben Offshore-Schiffen vor allem die Kreuzfahrtbranche. Viele Reeder modernisieren ihre Flotten oder haben Neubauten geordert. Die Anzahl alter Kreuzliner wird sich in Zukunft verringern.

Hong Kong plus EU-Verordnung

Einen positiven Impuls könnte außerdem die neue EU-Verordnung über das Recycling von Schiffen haben. Die Abwrack-Branche genießt aufgrund von Arbeitsbedingungen und Umweltproblemen an einigen Standorten nicht überall einen guten Ruf. Um den Wettbewerb zumindest aus ökologischer Sicht stärker zu regulieren, hat die International Maritime Organization (IMO) schon vor einiger Zeit die »Hong Kong Convention for the Safe and Environmentally Sound Recycling of Ships« erarbeitet. Doch bis sie in Kraft treten kann, könnte es noch ein wenig dauern, da der Ratifizierungsprozess bei den IMO-Mitgliedern stockt. Mindestens 15 Staaten müssen das Abkommen ratifizieren, die mehr als 40% der Welthandelsflotte repräsentieren. Außerdem dürfen – im Durchschnitt der letzten zehn Jahre – die Recyclingkapazitäten dieser Staaten nicht weniger als 3% der Welthandelstonnage betragen. Danach gibt es noch eine zweijährige Wartezeit.

Bislang haben nur Kongo, Frankreich und Norwegen die Konvention ratifiziert. Die Europäische Union ist einen eigenen Weg gegangen, um den erwarteten Verzögerungen zu begegnen. Die Verordnung über das Recycling von Schiffen findet allerdings auch erst frühestens Ende 2015 Anwendung. Sie besagt, dass EU-geflaggte Schiffe dann nur noch bei Werften verschrottet werden dürfen, die sich dafür bei der EU registriert haben und gewisse Mindestumweltstandards erfüllen.

Würden sich nun einige oder viele der asiatischen Werften schwer tun, europäische Mindeststandards einzuhalten, könnte sich eine Chance für die Branche in Europa ergeben, meint ein Branchenkenner. Dem entgegen steht allerdings das Argument, dass die Verordnung in dieser Hinsicht nur für Schiffe unter EU-Flagge gilt. Zum einen sind sehr viele Frachter aber bekanntlich in anderen Ländern registriert. Zum anderen könnten Reeder die Vorgaben durch eine Ausflaggung umgehen.

Darüber hinaus gibt es in Asien durchaus schon Bestrebungen, die Hong Kong Convention zum Anlass für Verbesserungen zu nehmen – beispielsweise in Indien, wo mit Alang einer der wichtigsten weltweiten Abwrackstandorte liegt. »Wir laden die Entscheidungsträger der Europäischen Kommission, der IMO und von internationalen Reederverbänden ein, sich ein Bild von den verbesserten Bedingungen in Alang zu machen«, sagte jüngst Nikos Mikelis, Non-executive Director von GMS (Global Marketing Systems), einem der wichtigsten Akteure der Branche, bei einem Besuch einer japanischen Delegation vor Ort. Akihiro Tamura von der japanischen Außenhandelsorganisation Jetro lobte die Veränderungen. Die Werften in Alang, die viel in die Modernisierung investiert hätten, sollten von der Schifffahrtsbranche für ihre Anstrengungen belohnt werden, sagte er. Tamura rief Indien dazu auf, die Vorgaben der Konvention zu erfüllen, wobei die Werften Leela Ship Recycling, Priya Blue Industries, Kalthia Shipbreaking und Shree Ram Vessel Scrapping offenbar schon sehr weit seien.


Michael Meyer