Print Friendly, PDF & Email

Der europäische Markt für maritime Schlepp-dienste gerät in Bewegung. Der Kostendruck beim Kunden, die wachsende internationale Konkurrenz und grenzüberschreitende Kooperationen erhöhen den Druck von außen und innen.
Der Wettbewerb wird härter, kleinere Anbieter drohen, ins Abseits zu geraten. Die großen Linien geben als Kunden auf der Suche[ds_preview] nach Einsparpotenzialen den Druck weiter. Sie fordern gänzlich neue Angebotsstrukturen. Der Ölpreis drängt im Offshore-Sektor tätige Schleppreedereien, sich neue Geschäftsfelder zu erschließen. Diese Schwierigkeiten am Öl- und Gasmarkt als klassischem zweiten Standbein vieler Schleppreeder beschleunigen den Trend zum Umbau bei Hafen- und Küstenschleppdiensten. Der europäische Markt wird dadurch intensiver denn je in den globalen Wettbewerb eingebunden. Das aktuelle Treffen der European Tug­own­ers Association (ETA) in Edinburgh greift den Wandel im Motto auf: »The Changing Face of the European Towage Industry«.

Der Trend weist allgemein in Richtung größerer betrieblicher Einheiten. Über Flottenmodernisierung versuchen die Marktführer ihre Position zu sichern. Bündnisse sollen Skaleneffekte und Synergien einfahren. Im vergangenen Herbst bündelten die drei italienischen Anbieter Augustea, Cafimar und Scafi ihre Flotten und riefen Italtugs ins Leben. Zentrales Motiv ist das flächendeckende landesweite und weltweite Angebot von Schleppdiensten. Die neue Gruppe vereint Schleppdienste in Häfen und Offshore mit weiteren Hafenleistungen wie der Bebunkerung von Schiffen. Mit der »Ares« rüstet auch der italienische Eigner Tripmare auf: Der Schlepper mit 70t Pfahlzug folgt einem völlig neuen Design des türkischen Herstellers Sanmar, der dieses Jahr sein 40. Jubiläum feiert und bisher rund 150 Schlepper abgeliefert hat. Fratelli Neri bringt mit der erstmals in Kooperation mit Damen gebauten »Luisa Neri« (Damen Typ 3212) ein ungewöhnlich starkes Schiff (über 80t Pfahlzug) nach Italien.

Auch auf dem britischen Markt geraten klassische Geschäftsmodelle unter Druck: Der britische Anbieter Griffin TMS geriet im März in Zwangsverwaltung. Das Joint Venture von Griffin Towage & Marine und Teignmouth Maritime Services (TMS Marine) hatte am britischen Küstenschleppmarkt auch kleineren und älteren Schiffen eine Chance auf Weiterbeschäftigung gegeben. Ältere ­Schlepper können die Anforderungen der Wirtschaftlichkeit vor allem aber die Aufgaben rund um die immer größer werdenden Schiffe kaum erfüllen.

Die Größe der neuen Containerriesen stellt die gesamte Branche vor enorme Herausforderungen. Im Februar verhinderten vier Schlepper des Betreibers Boluda in Valencia eine Kollision der »HH Johanna« mit der 349m langen »Cosco Europe« bei starkem Wind. Im gleichen Monat lief die rund 400m lange »CSCL Indian Ocean« bei Hamburg auf Grund. Den anfangs sieben herbeigeeilten Schleppern gelang es nicht, das Schiff frei zu bekommen. Nach zwei gescheiterten Versuchen und insgesamt fünf Tagen gelang es zwölf Schleppern von Kotug und Smit, das Schiff bei Springtide in das Fahrwasser zu ziehen.

Der Fall zeigt, welche Einnahmen über das Hafenschleppgeschäft zu erzielen sind. Die schon im Regeldienst stabilen Einnahmen wecken Begehrlichkeiten bei der Verteilung der Marktanteile. Mehr große Schiffe erlauben mehr Schlepper je Standort – dieses Kalkül folgt den Veränderungen in der Linienschifffahrt. Von Europas größten Häfen aus geben die neuen großen Allianzen ihren Kostendruck weiter beziehungsweise gestalten über Firmentöchter den Schleppmarkt nach ihren Anforderungen um. So breitet sich die Rationalisierung in der maritimen Schleppbranche von Europas größten Häfen her aus.

Parallel fordern neue Regularien wie die »EU Port Package III« und der Emissionsschutz die Betreiber heraus. Themen wie Marktzugang, finanzielle Transparenz und Nachhaltigkeit sind weiter nach oben auf die Tagesordnung gerückt. Regulierende Eingriffe in die einzelnen Geschäftsbereiche der Firmen bis hin zu Hafenbaggerarbeiten stehen an. Die Europäische Kommission will mehr Wettbewerb – die ETA lehnt die Eingriffe in Hafendienste als »wählerisch und unfair« ab.

Vorstoß der Niederländer

Das im Dezember 2014 verkündete 50/50-Joint-Venture zwischen Smit und Kotug erregt nach wie vor viel Aufmerksamkeit in der Branche. Die Erwartungen der Vertragspartner waren von Anfang an hoch, die Auswirkungen wird die Konkurrenz erst in diesem Jahr voll zu spüren bekommen, nachdem die Umsetzung operativ ab 7. April läuft. Das Jahr 2015 war gut für den Smit-Mutterkonzern Boskalis, auch wenn die reinen Schleppaktivitäten in der Konzernbilanz durch die Verlagerung in das Joint Venture rückläufig waren. Uwe Magnussen, General Manager Commerce for Germany bei Kotug, sagte der HANSA im April: »Das Joint Venture vollzieht sich erst in diesen Tagen – unsere Konzernmutter hat es beschlossen, die Verhandlungen zogen sich etwas hin.« Noch in diesem Halbjahr soll der Zusammenschluss Wirkung zeigen. Unter anderem wird eine bessere Auslastung der Schiffe erwartet. Kunden sollen über verbesserte Hafenanlaufzeiten profitieren. Die Schlepperaktivitäten in den Häfen der Nordrange bündelt das Joint Venture nun in der neuen Gesellschaft »Kotug Smit Towage«, die über 65 Schlepper in elf Häfen verfügt. Smit ist im Gegensatz zum Partner Kotug nicht in Deutschland aktiv. Durch die Zusammenarbeit sieht Boskalis den »Schlussstein der eigenen Joint-Venture-Strategie« im Schleppmarkt gesetzt.

Arno Schikker, Manager Corporate Communications bei Boskalis, gab der HANSA Einblick in die Firmenstrategie. Zur Allianz sagte er, die Strategie von Boskalis ziele darauf, sich auf Hafenschleppdienstleistungen zu konzentrieren und diese in regionale Partnerschaften auszuweiten. »Das Joint Venture mit Kotug ist der letzte Schritt in der Umsetzung dieser Strategie.« Früher habe man bereits ähnliche Partnerschaften etabliert, aus denen im amerikanischen Markt Saam Smit Tow­age entstanden sei, außerdem Keppel Smit Towage in Asien und Smit Lamnalco (Terminal Services). Mit dem Abschluss des jüngsten Joint Venture ist Boskalis in mehr als 35 Ländern und über 90 Häfen tätig und verfügt über rund 450 Schiffe. »Die Stärke dieses Ansatzes liegt in der Tatsache, dass Joint Ventures ihre eigenen Strategien in Übereinstimmung mit lokalen Gegebenheiten festlegen können – sie können zur Unterstützung und Finanzierung aber auch auf die Muttergesellschaften zurückgreifen.«

Die Fragen der Finanzierung und höheren Effizienz spielen demnach eine wichtige Rolle in der strategischen Planung der Niederländer. »Die Hafenschleppdienste zu vereinen ermöglicht uns, Schiffe besser zwischen den Flotten zu überstellen, mehr Standardisierung, gemeinsame Beschaffung und die Optimierung des Geschäftsablaufs«, so Schikker. Mit den nun fünf Joint Ventures deckt der Konzern Hafenschlepp- und Terminaldienste auf allen Kontinenten ab. Den Schwerpunkt bildet Smit in Rotterdam. Eine »relativ junge Flotte« und ein »stabiler Cash Flow« zeichnen das vereinte Hafenschleppgeschäft aus, wo viele Kunden und kurzfristige Verträge auf der Grundlage von Verfügbarkeit und Preis vorherrschen – im Gegensatz zum Geschäftszweig an Öl- und Gasterminals mit langfristigen Verträgen. Durch die stabilen Einnahmen im Schleppsegment soll sich die Zusammenarbeit als Investment auszahlen und eine eigenständige Entwicklung sichergestellt werden.

Neuordnung am deutschen Markt

Durch Allianzen konzentriert sich der gesamte Markt. Jeder neue Verbund übt Druck auf die anderen Akteure aus. So sah das Bundeskartellamt im November 2014 den Wettbewerb in Deutschland in Gefahr. Wegen des Verdachts illegaler Preisabsprachen ließ die Behörde in Hamburg Büros und die Leitstelle der dortigen deutschen Schleppreedereien durchsuchen. Die Aktion steht zumindest in engem zeitlichen Zusammenhang mit der ersten Ankündigung der Firmenzusammenarbeit unter dem Dach von Boskalis. Ein Ergebnis der Durchsuchung ist bis heute nicht öffentlich worden. Auch die niederländischen Behörden durchsuchten bei ähnlichem Verdacht Unternehmen in den Niederlanden. Zwar gilt die Unschuldsvermutung, die Aktivitäten der jeweiligen nationalen Wettbewerbshüter sorgen indes für Nervosität in der Branche. In Hamburg steht die Arbeitsgemeinschaft (ARGE), der fünf große im Hafen tätige Schleppredereien angehören und die bisher einen Großteil der Aufträge verteilte, unter Druck. Kotug gehört nicht zur ARGE, ist von den Ermittlungen nicht betroffen. »Wir sind die einzig Unabhängigen am Markt, sagen wir immer«, so Magnussen. Kotugs Position als Wettbewerber wird durch diese Rolle und das Joint Venture beim Kunden eher noch gestärkt. Seit den 1990er-Jahren konkurriert das Unternehmen mit den traditionell etablierten Schleppreedern am Standort Hamburg. Nun könnte der »Schlepperkrieg« von damals eine Neuauflage erleben, bei völlig neuer Kräfteverteilung. In Rotterdam, Terneuzen, Vlissingen, Antwerpen, Zeebrugge, Ghent, Liverpool, London sowie Hamburg, Bremerhaven und Wilhelmshaven ist Kotug Smit Towage vor Ort. Schon Kotug allein könnte in Deutschland die Marktführung beanspruchen. In nächster Zeit will Boskalis sich auf die Eingliederung der Joint Ventures und Organisationen ins operative Geschäft konzentrieren. »Wir werden unseren Kunden die besten Schleppdienste der Klasse anbieten«, so Schikker.

Der Druck der Global Player

Als ein Treiber am Markt ist Boskalis selbst »Getriebener«. Der Grund ist die Konkurrenz durch Svitzer in den niederländischen Häfen. Längst ist ein globaler Wettkampf im Gang, denn die Konzerne mit der weltweit größten Verteilung von Standorten haben entscheidende Vorteile beim Umwerben der Kunden. Svitzer gehört zur Maersk-Gruppe, profitiert daher direkt von der Nähe zur Konzernmutter und deren Allianzbildung. Vom Sitz in Kopenhagen aus geht Svitzer mit 430 Schiffen weltweit auf Expansionskurs. Im März erwarb das Unternehmen sechs Schlepper vom Hafenbetreiber QPIS des chinesischen Hafens Qingdao (Tsingtau) für 31,8Mio. $. Im Februar wurde die Firma Seabulk in der Karibik übernommen – so wächst der Konzern auch in Amerika. Über die Unterzeichnung eines auf zehn Jahre angelegten Vertrags mit Inpex LNG als Betreiber des Ichthys LNG Project im Hafen von Darwin profitiert das Unternehmen am stabilen australischen Markt, wie im Dezember bekannt wurde. Im Oktober verkündete Svitzer, man werde dank eines auf 30 Jahre angelegten Vertrags ab 2017 Schlepper für den neuen Moin Container Terminal in Costa Rica stellen. Dessen Betreiber APM Terminals ist Teil der Maersk-Gruppe. Der kurze Draht zur Konzernmutter hilft, die Ausweitung von Diensten langfristig vorzubereiten. Im Mai 2015 stieg Svitzer durch den Kauf des Schleppbetreibers Transmar in den nennenswerten brasilianischen Markt ein. Weitere Joint Ventures kamen in China mit Binhai Port und in Malaysia mit SVT Marine Services zustande. Spezielle Eis-Klasse-Schlepper der Firma werden außerdem künftig eine Mine im arktischen Teil Kanadas bedienen. Auch die Flottenerneuerung steht bei Svitzer aktuell ganz oben auf der Tagesordnung: Zahlreiche Schlepperneubauten sind bereits bestellt. Mit der Ausweitung bei Diensten und Flotte reagiert der Betreiber nach eigenen Angaben auf »deutliche makro-ökonomische Herausforderungen«.

Deutsche Schleppreeder zögern

Für die Dienstleister am deutschen Markt ist durch den Vorstoß der Niederländer eine verschärfte Konkurrenz entstanden. Wie schon im »Schlepperkrieg« übt Kotug eine Vorreiterrolle aus. Damals drängten die Niederländer mit vergleichsweise leistungsstarken Schiffen in den Hamburger Markt. Anders als damals erhalten Bugsier, Fairplay, L. Meyer und Petersen & Alpers als Alteingesessene das Signal der Wettbewerbshüter, dass ihre bisherigen gemeinsamen Aktivitäten in der seit Jahrzehnten bestehenden Arbeitsgemeinschaft kritisch beobachtet werden. Zur Abwehr taugt die ARGE somit nur bedingt. Die zur Linnhoff-Gruppe gehörende Lütgens & Reimers Schleppschiffahrt hatte sie im Oktober 2014 mit ihren sieben Schiffen verlassen. Die Zeit der an einen Hafenstandort gebundenen Geschäftsmodelle ist nach Einschätzung führender Linnhoff-Manager vorbei.

Eine Art Standortgemeinschaft macht als Antwort auf die globalen Wettbewerber allein immer weniger Sinn. Die deutschen Anbieter stehen unter Druck, sich ebenfalls nach neuer Zusammenarbeit umzusehen, denn die Einnahmen aus dem Hafengeschäft sind langfristig keine sichere Bank mehr. In vielen Firmen stellt das Hafengeschäft indes einen starken Anteil am Umsatz, was Abhängigkeiten schafft: Bei der zur Linnhoff-Gruppe gehörenden URAG beispielsweise machte das Hafengeschäft 2015 rund zwei Drittel des Umsatzes aus. Ein Ausweichen in Dienste für Öl- und Gasterminals ist derzeit kaum möglich. Auch wenn deutsche Schleppreeder keinen erneuten Preiskampf wie in den 1990er-Jahren fürchten und die Tarife sich angeglichen haben, drohen die Firmen, langfristig durch umfassendere Angebote der großen Akteure ausgehebelt zu werden.

Auch der Druck seitens der Kunden hat zugenommen. Die großen Reedereien ordern Schleppdienste im großen Rahmen. Manche Anbieter haben schon anhand ihrer Flotten kaum die Möglichkeit, diese Aufträge abzuarbeiten. Die Kunden wünschen zunehmend Paketlösungen für mehrere Häfen. Auch das macht die Zusammenarbeit lebensnotwendig. »Wir sehen, dass große Container- und Bulkreedereien Allianzen bilden und zunehmend mit den gleichen Hafenschleppbetreibern in verschiedenen Häfen arbeiten wollen«, so Arno Schikker. In Südamerika habe Boskalis bereits ähnliche Erfahrungen gemacht.

Der Trend zur Allianz ist global. Kostendruck und Krisenerscheinungen bei den Kunden zwingen die Schleppbranche umzustrukturieren. Signale des Aufbruchs finden sich allerdings auch bei den deutschen Schleppdiensten. Fairplay setzte von Hamburg aus im vergangenen Juli ein deutliches Zeichen in Sachen zukunftsweisender Schiffsantriebe: Am Standort Rotterdam ging ein neuer Schlepper in Dienst – einer der ersten mit Dieselgeneratoren gemäß den Regularien IMO Tier III. Petersen & Alpers stellte 2015 den Neubau »Michel« (Damen-Typ 2913) in Dienst, der mit 80t Pfahlzug zu den stärkeren im Hamburger Hafen gehört. Mehr Kraft fordert das Material und die Manövrierfähigkeit der Fahrzeuge heraus. Petersen & Alpers greift auf ein neues Design der Werft Damen zurück, das speziell großen Schiffen und räumlich engen Hafenumgebungen entgegenkommt. Die Flotte ihrer gemeinsamen baltischen Tochter Towmar Baltic UAB erneuerten Petersen & Alpers und L. Meyer im Herbst mit zwei Damen-Schleppern vom Typ 2810.

Bugsier bestellte im Juli vergangenen Jahres ebenfalls zwei Damen-Schlepper mit einem Pfahlzug von 80t. Beide Schiffe sollen noch in diesem Jahr den Betrieb aufnehmen. Zur gleichen Zeit orderte das Unternehmen einen neuen reinen Hafenschlepper des Typs Damen 2411, der als »Bugsier 22« im April seinen Dienst aufnahm. Im Jahr 1866 gegründet, feiert die Reederei dieses Jahr ihr 150. Jubiläum. Die Flotte umfasste bisher 28 See- und Hafenschlepper. Auch dieser Betreiber folgt also der Kundenforderung nach stärkerer Tonnage.

Ausblick

Es dauert erfahrungsgemäß viele Monate, bis eine Kooperation wirklich greifen kann, doch sinnvolle mögliche Partner für strategische Bündnisse werden rar. Neue Designs und neue Schiffe sind nur eine Seite im Wettbewerb. Globale Strategien treten hinzu. Die Branche steht daher nicht nur finanziell, sondern strukturell vor erheblichen Umwälzungen: Ein zeitgemäßes Angebot auf einem begrenzten Markt wird in naher Zukunft zwar noch finanzierbar sein, bei anhaltendem Trend aber nicht mehr ausreichen. Seitens der globalen Akteure drängt Geld in klassische Hafen- und Seeschleppdienste. Selbst gesunde Einzelunternehmen verlieren womöglich ihre Unabhängigkeit oder sie überleben in der Rolle als Juniorpartner.


Sverre Gutschmidt