Print Friendly, PDF & Email

Die Aussichten für deutsche Nautiker sind weiterhin düster, die Gegenmaß­nahmen greifen nicht. Während Schiffsbesatzungen oft aus Fernost rekrutiert werden, steht der Sekundär­bereich vor einem Problem.
Seit einigen Monaten subventioniert der Staat die Reedereien noch stärker als bisher bei der Ausbildung von Nautikern, etwa über den[ds_preview] Lohnsteuereinbehalt. Auch das Führen der deutschen Flagge wurde erleichtert, ab Januar sollen die Sozialversicherungsbeiträge erstattet werden. Bisher lassen die Erfolge auf sich warten, die Zahl der Schiffe unter deutscher Flagge nimmt nicht zu, die Studienanfängerzahlen an den Seefahrtschulen nehmen ab. »Ich glaube, es ändert sich auch 2017 nichts«, sagt Christian Suhr, Vorsitzender des Nautischen Vereins zu Hamburg (NVzH). Der Verein kritisiert, dass die vielen Maßnahmen zum Erhalt des maritimen Know-how am Standort Deutschland nicht greifen. Das zeigen laut NVzH ganz einfach die Fakten. »Wir haben jetzt wieder einSchiff weniger unter deutscher Flagge als noch vor einem Monat. Außerdem nehmen die Anmeldungen an den Seefahrtschulen weiterhin ab. Die Lage ist sehr mau«, erklärt NVzH-Schriftführer Kurt Steuer, der das nicht als Kritik an der deutschen Reederschaft verstanden wissen will.

Bisher profitierten neben den Reedereien, die das teils selbst ausgebildete Personal beschäftigten, auch viele andere Akteure aus dem sogenannten Sekundärbereich – Stauereien, Behörden, Lotsen etc. Sie bekamen hochqualifizierte Arbeitskräfte, die oft nach einiger Zeit auf See in einen Landberuf wechselten. Daher gibt es nun die Überlegung, bei einer Neuordnung der Ausbildungswege alle Beteiligten einzubeziehen. Angesichts der schwierigen wirtschaftlichen Situation vieler Reedereien können diese den Nachwuchsbedarf der anderen Branchen kaum mit abdecken. Noch sind diese aber von der Schifffahrt abhängig.

Viele Kapitäne fahren nicht ihr Leben lang zur See, sondern nutzen ihre Qualifikation irgendwann als »Sprungbrett an Land«. »Ein Wechsel zu den Lotsen, als technischer Inspektor zu einer Reederei oder ins Crew-Management, das war bisher ein typischer Karriereschritt. Insgesamt werden die Verweilzeiten kürzer. Das hat bisher funktioniert, das wird es aber in Zukunft nicht mehr«, mahnt Suhr.

Der Sekundärbereich muss sich womöglich nach Alternativen umsehen. Verschiedene Lotsenvereinigungen haben bereits neue Wege beschritten und bieten z.B. verkürzte Ausbildungszeiten als Lotse nach dem Erwerb des Kapitänspatents oder eine direkt an das Nautikstudium anschließende Ausbildung. So soll weiter ein Anreiz zum Studium bestehen bleiben, auch wenn Fahrtzeiten auf See bei Reedereien nicht mehr abgeleistet werden können.

Die Nautiker sehen auch Probleme für Bereiche wie die Wasserschutzpolizei. Beamte, die bisher oftmals eine maritime Ausbildung als Hintergrund mitgebracht hätten, brächten ein ganz anderes Verständnis für die Materie mit. »Ein Landpolizist kann bestimmte Dinge gar nicht wissen«, sagt Suhr. Stauereien würden vermutlich künftig auf eine eigene Ausbildung setzen, um Kenntnisse zu vermitteln, die Nautiker bisher ohnehin mitbrächten, meint der stellvertretende Vorsitzende Hans-Heinrich Nöll. Eine mögliche Spezialisierung in den Ausbildungen würde zum einen zu höheren Kosten, zum anderem zu weniger umfassend ausgebildeten Arbeitskräften führen.

Das Problem sind aus Sicht des Vereins nicht zu wenig Entgegenkommen oder Engagement von Seiten des Staates. »Die bisherigen Maßnahmen zur Stärkung der deutschen Flagge und zur Ausbildungsförderung stellen bereits das Optimum an Subventionen dar«, erklärt Nöll. Trotzdem gebe es keine Bereitschaft auf Industrieseite, verstärkt deutsche Seeleute und Nautiker einzustellen oder auszubilden. »Das Interesse an Beschäftigung ist minimal, der Aufwand trotz mittlerweile fast kostenloser Ausbildung offenbar zu groß.« Ob eine volle Erstattung von Sozialversicherungsbeiträgen ab Januar 2017 einen neuen Anreiz schaffen wird, bezweifeln die Hamburger Nautiker. Materiell falle das ohnehin kaum noch ins Gewicht.

Andere EU-Länder fahren ähnliche Programme, um die maritime Branche zu unterstützen, auch mit mäßigem Erfolg. Während einige Spezialbereiche wie die Passagierschifffahrt noch Perspektiven bieten, hat z.B. die französische Reederei CMA CGM bereits eigene Ausbildungskapazitäten im großen Stil nach Südostasien verlegt. Die Philippinen etwa – eines der Länder, aus denen heute ein Großteil der Seeleute kommen – bilden längst Seeleute nach den Regeln der International Convention on Standards of Training, Certification and Watchkeeping for Seafarers (STCW)aus. Die Schifffahrtsunternehmen können sich dort also mit günstigeren und qualifiziertem Personal versorgen. Die Fragestellung lautet also nicht mehr, ob die bisher umgesetzten Maßnahmen in Deutschland wirken – offensichtlich tun sie das nicht –, sondern ob und bei wem überhaupt ein Interesse daran besteht, deutsche Seeleute auszubilden und zu beschäftigen.

Im Februar veranstaltet der NVzH eine Podiumsdiskussion, um dem auf den Grund zu gehen. Die Resonanz sei bisher sehr positiv berichtet Suhr. Nautiker, Versicherer, Reedereien, Seefahrtschulen, Lotsen und Behörden seien sehr aufgeschlossen gegenüber der Thematik. Um nicht die üblichen Diskussionsrunden zu replizieren, habe man gezielt direkt Betroffene eingeladen. Schließlich geht es darum, den tatsächlichen Bedarf zu klären. Ein Problem ist laut NVzH, dass es außer von den Lotsen, die seit einiger Zeit auf das Nachwuchsproblem hinweisen, aus keinem Zweig konkrete Aussagen über den Fachkräftebedarf gibt. Dass soll sich nun ändern.

Eine Idee, die Suhr gern diskutieren möchte, sind Ausbildungsgemeinschaften oder Ausbildungsschiffe, wie es sie in den 1980ern bereits einmal gab. Hier könnten sich Reedereien zusammentun und Akteure aus dem Sekundärbereich könnten sich an den Ausbildungskosten beteiligen, die für die praktischen und theoretischen Inhalte bisher von Reedereien bzw. Seefahrtschulen getragen werden. Aber auch hier gelte: Zunächst muss geklärt werden, ob es ein Interesse und Bedarf an deutschen Fachkräften gibt, bevor solche Ansätze weiter verfolgt werden.


Felix Selzer