Print Friendly, PDF & Email

Als eines der letzten großen Infrastrukturprojekte der DDR ist in den 1980er-Jahren auf Rügen der Fährhafen Sassnitz gebaut worden. Heute hat sich die Anlage zu einem Multifunktionshafen gewandelt – und nennt sich darum seit vorigem Jahr neutral »Mukran Port«.

Erste Planungen für eine Fährverbindung zwischen der DDR und der Sowjetunion hatte es schon seit 1963 gegeben. Rund 20 Jahre[ds_preview] später gewann das Projekt an Dringlichkeit, als die politische Lage in Polen unsicher zu werden begann. 1986 startete schließlich die Verbindung vom wenige Kilometer südlich von Sassnitz gelegenen Mukran nach Klaipeda im heutigen Litauen. Bis zur politischen Wende 1989 wurde der Fährbetrieb auf einen Liniendienst mit fünf Eisenbahnfähren ausgeweitet, bevor in den frühen 1990er-Jahren ein Großteil der sowjetischen Streitkräfte über Mukran den Heimweg antrat. In der Folgezeit erhielt der bis dahin ausschließlich für den Güter- und Militärverkehr mit der Sowjetunion genutzte Hafen zusätzliche Aufgaben: Um den damals zunehmenden Passagierverkehr nach Skandinavien bewältigen zu können, entstand ab 1995 ein neues Fährterminal, die vorhandenen Anleger wurden erweitert.

Doch die Bedeutung des Fährverkehrs nahm mit den Jahren immer mehr ab. Während die Konkurrenz durch andere Hafenstandorte wuchs, sorgte die Wirtschaftskrise 2008/2009 für einen weiteren Einbruch in diesem Bereich. Die Reederei DFDS Seaways, die die Eisenbahnfährlinie nach Klaipeda seit 2001 betrieben hatte, stellte die Verbindung 2013 ein, weil sie unwirtschaftlich geworden war. Und die schwedische Stena Line entschied 2014, sämtliche Eisenbahnwaggons für die Strecke Deutschland–Trelleborg und andersherum nur noch über den Seehafen Rostock abzufertigen. Heute ist lediglich eine täglich verkehrende Fähre übriggeblieben, nämlich die von Stena Line betriebene zwischen Mukran und Trelleborg pendelnde »Sassnitz«. Zwischen März und Oktober gibt es außerdem eine Verbindung nach Rønne auf Bornholm. Die Eisenbahntransporte nach Russland und ins Baltikum, die in den Vorjahren ohnehin schon zurückgegangen waren, kamen mit der Russlandkrise und den durch die EU verhängten Wirtschaftssanktionen praktisch komplett zum Erliegen. Die Verbindung nach Ust-Luga im Westen Russlands existiert zwar offiziell noch, liegt aber faktisch seit Anfang 2016 brach.

Weniger Fähr- und Bahnverkehr

Dass Mukran Port als einziger Hafen Westeuropas neben Gleisen der europäischen Normalspur auch über Gleise und Umschlaganlagen für die russische Breitspur verfügt, hilft dem Standort darum aktuell kaum weiter. Schon Anfang 2011 hatte die Deutsche-Bahn-Tochter DB Netz den größten Teil des 30km langen Breitspurnetzes an den Fährhafen Sassnitz als Betreiber des Hafens verkauft. Vor einem Jahr kündigte die Deutsche Bahn dann an, sich wegen des rückläufigen Bahnverkehrs auch von ihrem 48km langen Normalspurbereich im Vorfeld der eigentlichen Hafenanlage trennen zu wollen.

Weniger Fährgeschäft, weniger Bahnverkehr: Deutschlands östlichster Tiefwasserhafen musste sich neu aufstellen, um die Schwächung seiner einstigen Hauptstandbeine zu kompensieren. Seit einiger Zeit verfolgt die Betreibergesellschaft, die zu 90% der Stadt Sassnitz und zu 10% dem Land Mecklenburg-Vorpommern gehört, darum eine aktive Ansiedlungspolitik und investiert verstärkt in die Infrastruktur. Darüber hinaus bietet sich der Standort als Projektmanager an und stellt seine Dienste für die Umsetzung von Einzelprojekten zur Verfügung. Neben dem klassischen Hafengeschäft, das unter der neuen Dachmarke Mukran Port in den beiden Geschäftsfeldern »Sea Port« (Schiffsverkehr und Umschlag) und »Rail Port« (Bahnbetrieb) läuft, zählt der Hafen nun auch die Bereiche »Dry Port Indus­try« (Ansiedlungen) und »Offshore Wind« zu seinem Portfolio. Nach eigenen Angaben hat der Fährhafen Sassnitz die Zahl seiner Mitarbeiter in den vergangenen zehn Jahren von 38 auf 60 erhöht. Insgesamt waren auf dem Gelände vergangenes Jahr gut 600 Menschen beschäftigt, Tendenz laut Hafen steigend. Auf einer Gesamtfläche von 430ha verfügt der Standort demnach über ein noch nutzbares Flächenangebot von 170ha.

Langfristige Ansiedlungen

Aus einem reinen Fährhafen ist so inzwischen ein Gewerbe- und Industriestandort mit Fähranschluss geworden. Das erste Großprojekt in Mukran war die 2011 in Betrieb genommene Ostsee-Pipeline »Nord Stream 1« zwischen Russland und Deutschland, für die in einem eigens errichteten Werk Stahlrohre mit Beton ummantelt und zwischengelagert wurden. Auch beim politisch umstrittenen Folgeprojekt »Nord Stream 2« ist der Hafen wieder mit an Bord. Obwohl der Genehmigungsprozess noch läuft, rollen schon seit einem guten halben Jahr die Bahntransporte von der Rohrproduktion in Mühlheim an der Ruhr zum Mukran Port. Insgesamt sollen hier diesmal 90.000 Rohre ummantelt und vorübergehend gelagert werden. Das Unternehmen Mobil Baustoffe fertigte auf dem Hafengelände von 2012 bis 2016 gut 120.000 Tübbinge (Betonfertigteile) für die Erweiterung der Kopenhagener Metro. Und aktuell entstehen nicht weit von der Kaikante entfernt Schleusentore für den Nord-Ostsee-Kanal, die nach ihrer Fertigstellung nach Brunsbüttel gebracht und dort installiert werden sollen.

Während sich temporäre Projekte wie diese schwer planen lassen, sollen langfristige Unternehmensansiedlungen für dauerhaft positive Effekte sorgen. Den Anfang machte 2003 das Fischwerk Euro-Baltic, das bis zu 50.000t Hering pro Jahr verarbeitet und heute 150 Mitarbeiter beschäftigt. Seit 2011 ist die das Unternehmen Viela Export am Standort tätig, das in einer 1.900 m² großen Halle Getreide und andere Agrarprodukte lagert und veredelt. Jüngste Ansiedlung ist die Deutsche Bogenn, eine Tochter der türkischen MIR Holding, mit einem Werk zur Produktion von Kunststoffrohren und Verbindungselementen. Demnächst sollen hier 80 Mitarbeiter Rohre für Infrastrukturprojekte auf der ganzen Welt herstellen.

Neuer Markt Offshore

Ebenfalls dauerhaft sind die Effekte, die der Bereich Offshore-Windenergie mit sich bringt: Er verbindet das Projektgeschäft mit langfristigen Ansiedlungen. Für die mittlerweile abgeschlossene Errichtung des Ostsee-Windparks »EnBW Baltic 2« ist im Südteil des Hafens ein rund 100.000m² großes Offshore-Terminal geschaffen worden, das seit 2014 regen Betrieb erlebt. Aktuell laufen hier die Arbeiten für das Projekt »Wikinger« des spanischen Energiekonzerns Iberdrola.

Mit Eon steht schon ein weiterer Windparkbetreiber in den Startlöchern: Das Unternehmen will demnächst von Mukran aus seinen ersten Ostsee-Windpark »Arkona« bauen. Damit die beiden Projekte parallel umgesetzt werden können, entsteht derzeit im Nordbereich ein zusätzlicher Schwerlastkai mit angrenzendem 12ha großen Areal, von dem aus Industrie- und Schwergüter direkt verladen werden können. Wenn der neue Liegeplatz 10 fertig ist, wird der Hafen mit seiner insgesamt 3.000m langen Kaikante über 19 Liegeplätze verfügen. Vom Installationshafen will sich Mukran Port darüber hinaus zum Basishafen für die 25-jährige Betriebszeit der entstehenden Windparks entwickeln. Erster Erfolg ist die Eröffnung eines Betriebsgebäudes auf dem Areal im März dieses Jahres, das Iberdrola für Betrieb und Wartung seiner 70 Windkraftanlagen nutzen wird.

Für die Zukunft geht der Hafen davon aus, dass das klassische Messinstrument Umschlag wieder mehr an Bedeutung gewinnen wird. Konkrete Zahlen waren diesbezüglich nicht zu erfahren. Man rechne allerdings allein durch das Projekt »Nord Stream 2« sowie eine deutliche Zunahme beim Getreide-Umschlag mit steigenden Zahlen in diesem Bereich, hieß es. Beim Getreide habe man im vergangenen Jahr schon im Oktober das Jahresziel von 1Mio.t erlangt: Das Ende der Fahnenstange sei hier noch nicht erreicht. Als gutes Zeichen für die Zukunft werten die Verantwortlichen auch den Mitte Mai vermeldeten Einsatz eines mobilen Bunkerschiffes, das alle Schiffstypen mit Gasöl und Diesel versorgen kann. Durch die ansteigende Zahl von Schiffsanläufen, gerade auch im Offshore-Windbereich, sei ein flexibler Bunkerservice wichtiger denn je.


Anne-Katrin Wehrmann