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Bei Rolls-Royce ist man mehr denn je von autonomen Schiffen überzeugt – mittlerweile

in Kombination mit Fernsteuerung konzipiert. Die Zukunft bedarf einer grundlegenden Neuausrichtung in der Kommunikation zwischen Land und See. Von Michael Meyerr

Nicht auf Kritik einzugehen kann man Rolls-Royce – einer der engagiertesten Akteure in der Entwicklung autonomer Schiffssysteme – nicht vorwerfen. Seit[ds_preview] Jahren propagiert der Konzern eine digitale Revolution. Damit stößt Rolls-Royce nicht bei Jedem auf offene Ohren, Kritik und Unverständnis kommen von Skeptikern und angesehen Experten, die sowohl die mangelnde (finanzielle) Realisierbarkeit als auch technologische und regulative Hürden ins Feld führen. Doch Oskar Levander, seines Zeichens »Senior Vice President Concepts & Innovation«, und seine Kollegen wollen sich nicht aufhalten lassen, vielmehr nehmen sie die Kritik auf und beharren nicht auf »Autonomie«. »Das Interesse von Reedern wächst. Wir sind Kritik gewohnt, aber es entwickelt sich immer schneller. Das wird die gesamte Industrie verändern.« Es gehe nicht mehr um Evolution, sondern um Revolution und die Branche werde sich in den kommenden zehn Jahren mehr wandeln als in den letzten 50.

Zuletzt wurde mit der Europäischen Weltraum-Agentur (ESA) ein Abkommen für die digitale Zukunft der Schifffahrt unterzeichnet. Ziel ist die gemeinsame Entwicklung von neuen Kommunikationslösungen zwischen Schiff und Land. Auch sollen existierende Kommunikationsstandards – aufbauend auf der ESA-Initiative »Satellite 5G« – weiterentwickelt werden um den technischen Anforderungen einer autonomen und ferngesteuerten Schifffahrt gerecht zu werden.

An einem der jüngeren Projekte wird allerdings deutlich, dass absolute Autonomie auf unbestimmte Zeit unwahrscheinlich ist, hier kann man durchaus einen gewissen Lerneffekt bei Rolls-Royce beobachten. Es geht um »SISU/Optimus« – ein Projekt mit einem ferngesteuerten Schlepper der Reederei Svitzer. »Es kommt wirklich immer auf die Umstände an, den Schiffstyp, das Operationsgebiet, den Business Case. Unsere Vision heute beinhaltet eine Kombination aus Autonomie und Fernsteuerung«, betont Levander. Kurz gefasst bedeutet das: ein autonom und möglicherweise unbemannt fahrendes Schiff auf hoher See, das in Kanälen, bei Revierfahrten und in Hafengebieten aus einem »Remote Operation Centre« (ROC) ferngesteuert wird. Das Risiko und Haftungsfragen gerade in solchen Regionen gelten immer wieder als Hindernis für innovative Projekte.

Harmonisierung unabdingbar

Auf See wird es ein automatisiertes Monitoring durch das ROC geben. Geht die Satellitenverbindung verloren, kann das Schiff im Auto-Pilot-Modus zu einem sicheren Ort weiterfahren oder schlicht stoppen, sofern die Systeme weiter funktionieren. Das letzte 1%, wie es Levander bezeichnet, ist aber um einiges komplexer. »Dafür sind Menschen besser geeignet als Maschinen und dort wird auf Fernsteuerung umgestellt.« Ferngesteuerte oder semi-autonome Flotten haben aus Sicht von Rolls-Royce mehrere Vorteile. Je nach Schiffstyp – das wird immer wieder betont – könnten die Betriebskosten um bis 20% gesenkt werden. Zudem könnten die Ursachen, also menschliches Versagen, sowie Folgen von Unfällen, also Verletzungen oder Todesfälle, reduziert werden. Nicht zuletzt wäre laut Levander potenziell weniger der bisher genutzten Technik an Bord nötig. Die Brücke könnte verkleinert werden, einige Systeme für Abwasser, Air Condition, Frischwasser, Küche oder Kühlschränke seien theoretisch in der jetzigen Form verzichtbar. »Bis zu 5Mio. $ können eingespart werden, zudem reduziert sich das Gewicht, verbessert sich der Energieverbrauch«, sagt der Experte. Nicht zuletzt würden weniger Systeme auch weniger Wartung und weniger Risiko bedeuten.

»Natürlich müssen wir auch Geld in neue Systeme investieren, für Automation, Sensoren, für Komponenten zur Sicherstellung von Redundanz und Zuverlässigkeit. Aber das Schiff wird insgesamt schlanker und simpler«, meint er. In verschiedenen Fall-Analysen stellte sich zudem heraus, dass autonome oder semi-autonome Schiffe vom Einsatz von LNG als Kraftstoff profitieren würden, weil ein Gasantrieb nicht all jene Systeme benötigt wie ein Schweröl- oder Dieselantrieb.

Einer der entscheidenden Aspekte ist die Standardisierung. Die regulativen Rahmenbedingungen waren schon beim SISU-Projekt ein enorm wichtiger Bestandteil. Dafür hatte sich Rolls-Royce die Klassifikationsgesellschaft Lloyd’s Register (LR) mit ins Boot geholt. Über 400 Anforderungen aus den verschiedensten Bereichen wie Schiffbau, Schiffstechnik oder Daten- und Verbindungssicherheit mussten erfüllt werden. Auf der »Svitzer Hermod« mussten für all die Komponenten insgesamt 7km zusätzliche Kabel verlegt werden. Sowohl der Schlepper als auch das ROC haben eine starke Firewall. »Zwei Wochen haben Hacker in unserem Auftrag versucht, das System zu knacken – erfolglos«, ist Levander stolz.

7 km zusätzliche Kabel

Letztlich konnten die Herausforderungen zwar gemeistert werden. LR und Rolls-Royce sind sich allerdings darin einig, dass es einen großen Bedarf an harmonisierten Standards gibt. Ziel sollte es sein, heißt es von der Klasse, dass alle Komponenten in einem Regelsatz integriert werden. »Wir brauchen harmonisierte Standards, auch damit wir die einzelnen Komponenten weiterentwickeln können. Wenn es standardisierte Systeme an Bord gibt, kann man Validität und Kontrolle stark vereinfachen«, so Levander.

Das Schlepper-Projekt »SISU« war in diesem Sinne ein Prototyp. Obwohl die Systeme schon während der Bauzeit eingesetzt wurden, gilt es als »Retrofit«, weil das Design klassisch und nicht für diese Art der Operation entwickelt wurde. An Bord integriert sind unter anderem sechs hochauflösende Infrarot-Kameras, Thermalsensoren sowie Radar- und LIDAR-Instrumente für die Lage-Erfassung (»situational awareness«) und ein DP-System, damit der Bediener im ROC präzise Steuerungsmöglichkeiten hat. Er sitzt vor einer Vielzahl von Bildschirmen, ihm wird eine 180°-Sicht simuliert. Laut den Projektverantwortlichen gaben die involvierten Seeleute an, dass die Kamera- und Satellitensysteme vor allem nachts eine bessere Sicht ermöglichen als es im regulären Bordbetrieb der Fall ist.

Kooperation mit Google

Die Tests in den Hafengewässern von Kopenhagen verliefen erfolgreich, von außen betrachtet war kein Unterschied zum normalen Betrieb festzustellen. Die »Svitzer Hermod« absolvierte aus dem ROC heraus gesteuert einige Manöver, wich anderen Schiffen aus und legte wieder an. Möglich wäre schon jetzt ein Betrieb im Auto-Pilot, dennoch waren bei den Tests noch Seeleute an Bord, um im Notfall eingreifen zu können. »Auto-Pilot ist möglich. Was das System noch nicht kann, ist selbständig auszuweichen, wenn es zu unvorhergesehen Zwischenfällen kommt«, gibt Levander zu. »Das wäre Machine-Learning, so weit sind wir noch nicht. Daran arbeiten wir jedoch bereits mit Google zusammen.«

Ungeachtet der erfolgreichen Tests plant Projektpartner Svitzer dennoch keine schnelle und vor allem vollständige Umsetzung. Vielmehr sucht sich die Reederei einige Filetstücke heraus. Ziel sei es vielmehr zunächst, den Flottenbetrieb zu optimieren. Man greife schrittweise auf einzelne Komponenten zurück, vor allem das System zur Kollisionsverhinderung sei sehr interessant, heißt es von der Tochter der dänischen Maersk-Gruppe.

Levander will sich davon nicht irritieren lassen: »Wir sind uns sicher, dass es ferngesteuerte Schiffe wie dieses noch vor 2020 im regulären Betrieb geben wird. Aber natürlich müssen wir unsere Technologie weiterentwickeln. Es wird weitere Puzzleteile geben bis zu dem Punkt, an dem an Bord keine Seeleute mehr nötig sind.« Seiner Meinung nach werden die Kunden der Reedereien künftig stärker wissen wollen, was mit ihrer Ladung passiert. »Mehr und mehr Aspekte des Betriebs werden von Bord an Land wechseln«, so Levander. Er sehe das aber keinesfalls schwarz-weiß. Es werde immer auch vollständig bemannte Schiffe geben, »das hängt vom Schiffstyp ab.« Im Öl-/Gas-Markt werde es wohl nie zu unbemannten Schiffen kommen, die Anlagen müssten auch für Notfälle gerüstet bleiben. Auch bei Kreuzfahrern und LNG/LPG-Tankern sei das eher unwahrscheinlich. Ansonsten spreche aber nichts dagegen, in anderen Segmenten zumindest weniger Besatzungen zu haben.

Michael Meyer