Print Friendly, PDF & Email

Die maritime Wirtschaft wird im Koalitionsvertrag der »GroKo« mit diversen Kommentaren bedacht. Ist das 177-Seiten-Papier zwar wie gewohnt vage, lohnt sich dennoch ein genauer Blick. Es geht um »Schlüsseltechnologien« und Ankündigungen. Von Michael Meyer

Immer vorausgesetzt, dass die SPD den Vertrag mit CDU/CSU durch die Basis-Befragung bringt und sich die Jusos durch[ds_preview] den Verzicht von Martin Schulz und die durchaus erfolgreiche Ressortaufteilung befrieden lassen – was kommt dann auf die maritime Wirtschaft zu?

Der »absehbare finanzielle Spielraum« soll für »prioritäre Ausgaben« genutzt werden. Zu den Politikfeldern, die von diesen 46Mrd. € profitieren sollen, gehört laut Koalitionsvertrag jedoch kein maritimer oder verwandter bzw. anhängender Bereich.

Das Verkehrsministerium wird wieder in bayerischer Hand sein, auch bleiben Verkehr und Digitale Infrastruktur bürokratisch vereint. Über mangelnde Arbeit dürfte sich der oder die Nachfolger/in von Alexander Dobrindt nicht beschweren. So gibt es einige maritime Baustellen, die allerdings zum Teil ressortübergreifend anzugehen sind: die Häfen und ihre Zufahrten, die Digitalisierung der Transportketten, die Ausbildung, Fördermodelle, die Modernisierung der deutschen Flagge, die Sicherung des Schiffbaus, der Ausbau der Offshore-Windenergie, der Aufbau des Tiefseebergbaus.

Doch was steckt nun eigentlich im Detail in diesem Koalitionsvertrag? Entscheidende Bedeutung kommt einer sprachlichen Unterscheidung zu, die so Mancher als kleinlich, der Politiker für den »exekutiven Alltag« jedoch als sehr wichtig erachtet: So heißt im Fachjargon das gern gewählte Wörtchen »Wollen« nichts anderes, als dass vorrausichtlich nichts passieren wird. »Werden« ist dagegen ein mehr oder weniger klarer Umsetzungsauftrag.

Wobei, so ein Koalitionsvertrag wird zuweilen per se als wenig bindend angesehen. »Wenn es danach ginge, wären wir seit langem bis ins letzte Eck glasfaserverkabelt und auch sonst die Allerbesten«, moniert ein Kritiker aus dem Koalitionsumfeld.

Hier nun die wichtigsten Punkte, von denen die maritime Branche direkt und indirekt zehren kann. Als kleine Hilfestellung zur eigenen Meinungsbildung sortiert nach »Wollen« und »Werden«. Der Interpretationsspielraum ist groß.

WOLLEN

»Wir bekennen uns zur (…) Unterstützung von Schlüsseltechnologien, insbesondere (…) Maritime Wirtschaft.

• Wir WOLLEN Technologieprogramme für die Erforschung digitaler Spitzentechnologien wie Robotik, autonome Systeme, Augmented Reality, Blockchain ausbauen.

• Die Ziele der Maritimen Agenda 2025 WOLLEN wir umsetzen, Förderungs- und Finanzierungsinstrumente ausbauen.

• Wir WOLLEN Flüssiggas, Landstrom und Wasserstoff als Antrieb durch Verstärkung der Förderung etablieren.

• Wir STREBEN zügig eine Ratifizierung der Hongkong-Convention an.

Investitionen von Unternehmen in die Digitalisierung WOLLEN wir unterstützen. Dazu WERDEN wir überprüfen, ob zugunsten digitaler Innovationsgüter die Abschreibungstabellen überarbeitet werden.

• Wir WOLLEN das Nationale Innovationsprogramm Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie fortführen.

• Wir WOLLEN digitale Testfelder auf der Wasserstraße (»Autonomes Fahren auf der Elbe«) unterstützen.

• Nationales Hafenkonzept WOLLEN wir konsequent umsetzen

• Prioritäre Projekte des Bundesverkehrswegeplans 2030 WOLLEN wir auskömmlich finanzieren.

• Zur Förderung des maritimen Standortes WOLLEN wir die Förderinstrumente evaluieren und weiterentwickeln.

• Auf nationaler Ebene WOLLEN wir technologieoffene Initiativen zugunsten alternativer Antriebe und Energiequellen in der Schifffahrt und in den Häfen (LNG, Wasserstoff/Brennstoffzelle, Methanol, Elektromobilität) verstärken und verstetigen.

• Einheitlicher Rechtsanwendung und Genehmigungsmanagement beim Thema LNG kommt in Häfen hohe Bedeutung zu.

• Wir WOLLEN digitale Technologien und den automatisierten Betrieb in Schifffahrt, Häfen und maritimer Lieferkette vorantreiben (z.B. digitales Testfeld Hamburger Hafen).

• Das Förderprogramm Innovative Hafentechnologien WOLLEN wir verlängern.

• Unser Ziel ist, dass die Häfen ihre Stärken künftig gemeinsam besser nutzen – beispielsweise als »German Ports«.

• Wir WERDEN auf faire und chancengleiche Wettbewerbsbedingungen für die deutsche Schiffbauindustrie im internationalen Umfeld HINWIRKEN.

• Offshore-Wind-Energie hat eine industriepolitische Bedeutung. Wir SETZEN uns für nationales Offshore-Testfeld ein.

WERDEN

• Wir investieren auf Rekordniveau in die Infrastruktur. Fortsetzung des Investitionshochlaufs, mindestens auf heutigem Niveau.

Planungsbeschleunigungsgesetz. Zugleich WERDEN wir Finanzierungsinstrumente implementieren, mit denen jährlichen Haushaltsresten entgegengesteuert wird. Wir setzen weiterhin Schwerpunkt auf den Erhalt vor Neu- und Ausbau.

• Chancen der Digitalisierung WERDEN wir nutzen können, wenn wir Transformation aktiv gestalten, notwendige Infrastrukturen bereitstellen und digitale Ordnungspolitik entwickeln.

• Den Überwasserschiffbau WERDEN wir als Schlüsseltechnologie Deutschlands einstufen.

• Schwerpunkte des Masterplans Maritime Technologien WERDEN durch Pilot- und Referenzprojekte sichtbar gemacht.

• Das Erhebungs- und Erstattungsverfahren der Einfuhrumsatzsteuer stellt einen gravierenden Wettbewerbsnachteil für die deutschen (…) Seehäfen dar. Wir WERDEN diese Verfahren in Kooperation mit den Bundesländern optimieren.

• Das Gesamtsystem aus Häfen und Wasserstraßen WERDEN wir durch bessere konzeptionelle Vernetzung nachhaltig stärken.

• Das Deutsche Maritime Zentrum (DMZ) WIRD als zentraler Ansprechpartner etabliert.

• Wir WERDEN das Maritime Bündnis unter Einbeziehung der Gewerkschaften stärken. Wir WERDEN maritimes Know-how erhalten und die Ausbildung stärken. Die Auswirkungen der Entlastungsoffensive für die deutsche Flagge WERDEN evaluiert. Bei Bedarf WOLLEN wir das Gesamtpaket – einschließlich der Ausbildungsplatzförderung – anpassen.

• Die Optimierung und Modernisierung der Flaggenstaatverwaltung WERDEN wir weiter voranbringen. Dazu gehört sowohl die Überprüfung und gegebenenfalls Anpassung der bisherigen Strukturen als auch die komplett elektronische Abwicklung der Verfahren bis 2020 sowie die dringend notwendige Modernisierung des Schifffahrtsrechts.

• Im Hafenbereich: Absenkung der EEG-Umlage und Einsatz energieeffizienter Fahrzeuge. Wir STELLEN flächendeckend Landstrom für die deutschen Häfen zur Verfügung. Wir SETZEN uns für eine europaweit einheitliche Nutzungspflicht ein.

• Wir WERDEN die Reform der Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung (WSV) zügig umsetzen.

• Für die Nutzung der Wasserstraßen und Häfen braucht es klare und verständliche Rechtsregelungen, die wir u. a. durch ein modernes Schifffahrtsgesetzbuch schaffen WERDEN

Kaum war das Papier fertig, ließen erste Reaktionen aus maritimen Verbänden nicht lange auf sich warten:

Der Verband Deutscher Reeder bewertet den Koalitionsvertrag insgesamt positiv. Die maritime Wirtschaft werde als strategische Industrie für Deutschland gewertet. Die Bundesregierung müsse die Wettbewerbsfähigkeit der Handelsschifffahrt ständig überprüfen und – wenn erforderlich – durch geeignete Maßnahmen stärken. Die Vereinbarung zu einem international und europäisch wettbewerbsfähigen Steuersystem sei ein richtiger Ansatz. Der Verband teilt indes die Kritik des Arbeitgeberverbandes BDA an den Einschränkungen zu Befristungen im Arbeitsrecht. Diese dürften nicht dazu führen, dass deutsche Seeleute und Nachwuchskräfte im globalen Wirtschaftsumfeld keine Chance mehr bekämen. Dass die Maritime Agenda 2025 umgesetzt und die Förder- und Finanzierungsinstrumente ausgebaut werden sollen, sei ein ermutigendes Signal.

Auch die deutsche Seehafenwirtschaft hat sich überwiegend positiv geäußert. »Verkehrsinfrastrukturinvestitionen auf hohem Niveau, die Modernisierung des Planungs- und Umweltrechts, digitale Infrastruktur und – insbesondere – die Verbesserung des Verfahrens zur Erhebung der Einfuhr­umsatzsteuer«, werden vom Zentralverband der deutschen Seehafenbetriebe (ZDS) genannt. Begrüßt werden zudem die Absenkung der EEG-Umlage für Landstrom, die Fortführung des Forschungsförderungsprogramms IHATEC und die Aussage zur Entwicklung der LNG-Infrastruktur.


Michael Meyer