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Der Verschrottungsmarkt gerät in Bewegung, der Druck zum sauberen Schiffsrecycling wächst. Das aktuelle Urteil gegen eine Reederei in den Niederlanden verdeutlicht die Problematik für die Branche, schreibt Felix Selzer

Die EU-Verordnung zum Schiffsrecycling ist in Kraft, große Verschrottungsstandorte wie Indien und Bangladesch haben die Ratifizierung der Hong Kong[ds_preview] Convention (HKC) der IMO angekündigt, Reedereien und Investoren starten eigene Initiativen um Transparenz in den Markt zu bringen. Mitte März wurde mit Seatrade erstmals eine Reederei für den Verkauf von Schiffen zum Abwracken unter »fragwürdigen Bedingungen« verurteilt. Für die niederländische Reederei wurden Geldstrafen fällig, zwei Manager bekamen für jeweils ein Jahr Berufsverbot. Eigentlich hatte die Staatsanwaltschaft Gefängnisstrafen gefordert, weil es aber das erste Urteil dieser Art war, blieben die Richter unter dem Strafmaß. Seatrade hatte vier Reefer-Schiffe verkauft, die dann in Indien, Bangladesch, China und in der Türkei verschrottet wurden, auf Werften, die Umweltstandards nicht einhielten.

Dabei ist eine internationale Gesetzgebung wie die Hong Kong Convention der IMO noch nicht in Kraft, die Verschrottungsverordnung der EU, EU SRR, lässt sich durch Umflaggung für die letzte Reise umgehen. Den Niederländern wurde nun die EU Waste Shipment Regulation bzw. die Basel Convention zum Verhängnis. Sie verkauften die Schiffe an Cash Buyer weiter, Seatrade konnte aber nachgewiesen werden, von den Verschrottungsabsichten gewusst zu haben. Damit waren die Schiffe keine solchen mehr, sondern Abfall. Nach geltendem Recht wäre der Präzedenzfall Seatrade laut Gramann aber selbst auf die anzuwenden, die sich wie Maersk, Stolt Tankers, China Navigation und andere wirklich engagierten und sich mit speziellen Anforderungen bei den Recyclern vor Ort umsähen. Maersk sei beispielsweise selber mit eigenen Supervisors ständig vor Ort, berichtet Gramann, der von einem Büro in Alang selbst derartige Services für Reedereien ohne die nötige Manpower anbietet.

Ein Schiff zwar offiziell »for further trading« zu verkaufen, allerdings an einen Cash Buyer, sei eine billige Ausrede, meint er. »Allerdings hat sich Seatrade kaum anders verhalten als die meisten Akteure in der Branche. Vermutlich verstoßen 99% der Schiffe, die ins Recycling gehen, gegen die Konvention«, sagt er. Dadurch, dass es abgesehen von einer Verschrottung in Europa kaum einen rechtlich einwandfreien Weg gebe, könne man nur vorsorglich »good practise« anwenden und sich nach der noch nicht in Kraft getretenen HKC richten, die Arbeits- und Umweltstandards für das Schiffsrecycling vorschreibt. Auch wenn die HKC noch nicht in Kraft ist, kümmern sich seit einigen Jahren Recycler insbesondere in Indien um die Umsetzung der Standards – nicht nur, um Schiffe umweltgerecht und sicher abwracken zu können, sondern auch, um frühzeitig internationalen Maßstäben gerecht zu werden. »Wir haben selber 20 Anlagen in Indien durch die Zertifizierung durch ClassNK gebracht und arbeiten im Moment mit über 20 weiteren an einer Revision des Layouts und der planerischen und operativen Aspekte des Schiffsrecyclings«, berichtet Gramann. Es gebe definitiv eine Trendwende beziehungsweise eine Abgrenzung. Man könne nun nicht mehr über Länder sprechen, vielmehr gehe es um den individuellen Betrieb.

Das »typische Indien« ist passé

»Es gibt in Indien Anlagen, die sind spitzenmäßig, daneben arbeitet der Nachbarbetrieb wie vor 20 Jahren. Man kann nicht mehr über das typische Indien reden, es kommt auf die individuelle Recyclinganlage an«, so Gramann. Bangladesch sei dagegen ein »reiner Top-Dollar-Markt«. Zwar gebe es unterschiedliche Standards, aber gemein sei allen, dass sie aufgrund fehlender Entsorgungsinfrastruktur die HKC kaum erfüllen könnten. Laut Nitin Kanakiya von der indischen Ship Recycling Industries Association gibt es in Indien bereits 66 HKC-konforme Betriebe, 27 seien bereits im Zertifizierungsprozess mit ClassNK, RINA oder IR Class. Neben dem Bedarf an modernem Equipment sieht er auch ein mangelndes Problembewusstsein bei der Arbeiterschaft als eine der größten Herausforderungen: »Wir müssen die Einstellung durch regelmäßige Trainings ändern.«

In Pakistan arbeitet man am gleichen Problem. Saleem Uz Zaman von der Bangladesh Ship Breakers’ Association berichtete im März auf dem Ship Recycling Forum in Hamburg von »radikalen Entwicklungen« in seinem Land. Der Grad der Mechanisierung auf den Werften nehme zu, außerdem gebe es regelmäßige Trainings und Auffrischungskurse für Beschäftigte. »Wir hoffen, dass wir noch 2018 die ersten HKC-konformen Betriebe haben«, so Uz Zaman. Derzeit arbeiten Abwracker und Regierung an der Finanzierung für den Aufbau eines Abfallmanagements in Gadani. Bislang wird der Müll nach Karachi transportiert. Ein Hemmschuh für Investments vonseiten der Recycler sind angeblich kurzfristige Pachtverträge für das Land, auf denen die Betriebe liegen. Deshalb strebe die Regierung Landrückkäufe an.

Auch in China gibt es Bewegung, berichtet Tom Peter Blankestijn, Geschäftsführer der Recyclingberatung Sea2Cradle. Verschrottungslizenzen seien eingezogen worden, nur zwei Betriebe hätten neue erhalten – die allerdings 95% der Recyclingkapazität abdecken. In Zukunft wird es laut Gramann eine Trennung zwischen den Ländern geben, die die HKC ratifiziert haben und denjenigen, die es nicht tun. »Bangladesch möchte die HKC ratifizieren und hat bereits neue Vorgaben zum Schiffsrecycling eingeführt. Derzeit läuft hier ein Programm der Weltbank, um eine Entsorgungsinfrastruktur aufzubauen«, sagt er. Gramann rechnet damit, dass es noch mindestens fünf Jahre dauern wird, bis diese genutzt werden kann. Bis dahin müssten Abfälle erst einmal exportiert werden – eigentlich. Indien, das bereits über eine Abfallentsorgungsinfrastruktur verfügt, will das Abkommen wohl noch in diesem Jahr ratifizieren, Japan ebenso.

Grüne Überkapazität

Tatsächlich weiß Gramann nun von einer »grünen Überkapazität« zu berichten, weil sich viele Reedereien und Fondsgesellschaften über die Qualität beim Schiffsrecycling keine Gedanken machten, sondern die Schiffe rein nach »Top Dollar« verkauften. »Die grünen Recycler beklagen sich nun, dass sie nicht einmal Schiffe aus Europa bekommen.« Reedereien machen laut dem GSR-Chef keine ordentliche Recyclingplanung. Bei Charterschiffen versuche man noch bis es nicht mehr gehe, eine Anschlusscharter zu bekommen, bevor das Schiff dann in den Schrott gehe. Das ist der Markt für die Cash Buyer. Ein Problem ist, dass Schiffe meist noch ohne Inventory of Hazardous Materials (IHM) verkauft werden, sodass Recycler nicht die Möglichkeit haben, den Recyclingprozess hinsichtlich Kontamination und Entsorgung von Gefahrstoffen zu planen, berichten Kanakiya und Gramann. »Selbst bei Schiffen, die für grünes Recycling verkauft werden, ist es oft so, dass nicht einmal das IHM zur Verfügung gestellt wird, obwohl wir hier über einen Preis von 10.000 bis 15.000€ sprechen. Also nicht einmal rudimentäre Kosten werden aufgebracht. Lieber wird das Schiff für einen halben Dollar mehr verkauft«, sagt Gramann.

Das Inventory of Hazardous Materials ist für EU-geflaggte Schiffe seit Ende 2016 verpflichtend, durch eine Umflaggung vor oder nach dem Verkauf wie auch die EU SRR aber leicht zu umgehen. Ab Ende 2020 müssen Bestandschiffe eine zertifizierte IHM an Bord haben. Das Betrifft alle EU-Schiffe über 500GT und flaggenunabhängig alle Schiffe, die EU-Häfen anlaufen, rund 30.000 Einheiten. Das Problem hier ist jedoch, das die Kapazität an sogenannten IHM-Experten kaum ausreicht. Gramann rechnet vor: »Selbst wenn wir pro Jahr die Kapazität international verdreifachen würden, stünde Ende 2020 immer noch die Hälfte der Weltflotte ohne IHM da.« Er informiert seit 2006 die Reedereien über das Thema, Bewegung bemerke er aber keine. Ein bisschen was tue sich seit ein paar Monaten, dennoch wären wohl zur Deadline die meisten Schiffe ohne sofortigen Planungsbeginn dann ohne IHM. Einen Aufschub soll es vonseiten der EU nicht geben, weiß er von den dortigen Verantwortlichen, denn die Branche hat seit 2013 Zeit, sich vorzubereiten. »Die Reeder sagen, sie müssten für so vieles bezahlen, Ballastwasser, Sulphur Cap etc., dabei sind die Ausgaben dazu im Vergleich doch Peanuts«, sagt Gramann. Wie standhaft die EU dann letztlich sein wird, bleibt abzuwarten.

Ist Beaching des Teufels?

Ebenso wie die IHM wird derzeit auch die EU SRR umgangen. Viele Branchenexperten sind sich einig: zu wenig Kapazität in der EU, beziehungsweise zu wenige von der EU zertifizierte Betriebe. »Bisher gibt es nur Anlagen in der EU, die die Schiffe in heute üblichen Größen nicht recyceln können. Wenn doch, dann sind sie preislich so weit über dem asiatischen Markt, dass es Millionenverluste pro Schiff wären«, meint Gramann. Deshalb sei die Entwicklung in Indien der richtige Weg. Die Qualität werde erhöht, trotzdem seien die Preise bei vergleichbaren Standards wesentlich attraktiver. Auch indische Recycler haben sich für die EU-Liste beworben, allerdings fangen die Prüfer der EU jetzt erst an, sich nicht-europäische Anlagen anzuschauen. Die EU SRR enthalte aber zu viele Punkte, die Auslegungssache seien, dazu komme der Druck durch die von der EU geförderte NGO Shipbreaking Platform. Daher rechnet Gramann damit, dass letztlich nur wenige außereuropäische Recycler auf die EU-Liste kommen. Er kritisiert, dass es vonseiten der NGO keinerlei Zustimmung für ökonomisch gangbare Alternativen außerhalb Europas gebe. Auch europäische Anlagen seien nicht unbedingt besser, als die in Indien nach HKC aufgebauten.

»Wir haben das große Politikum rund um das Thema Beaching, das seit Jahren verteufelt wird, ohne jedoch technisches Know-how zu haben. Dagegen wird dann für Länder wie China oder die Türkei geworben. Dort heißt es dann Landing, bedeutet aber letztlich das Gleiche. Da sind seit Jahren Falschinformationen in Umlauf, die auch bei den Entscheidungsträgern für Verunsicherung sorgen. Bevor man dann sagt, man nimmt etwas Geld in die Hand und macht es anders, ist aber immer noch angreifbar, geht man dann lieber gleich nach Top Dollar«, sagt Gramann Am lohnenswertesten ist Recycling in den Ländern, die Netto-Stahlschrottimporteure sind, dazu gehört kein europäisches Land. Die Türkei ist der weltweit größte Importeur von Stahlschrott. Es ist daher fraglich, wie ein europäischer Schiffsrecyclingmarkt sich behaupten soll. Chancen sehen Experten in der Verschrottung von Offshore-Plattformen oder Kleinschiffen, bei denen weite Transporte wegen mangelnden Schrottgewichts sich nicht rechnen.

Jetzt geht’s ans Geld

Druck für mehr Transparenz und ein letztlich umweltverträglicheres Recycling kommt auch von Banken und Investoren. So bringt aktuell die »Ship Recycling Transparency Initiative« (SRTI) Banken, Reeder, Investoren und andere Schlüsselakteure zusammen. Mit dabei sind Hapag-Lloyd, A.P. Møller-Mærsk, Wallenius Wilhelmsen, China Navigation und Norden. Aus dem Finanzbereich kommen Standard Chartered Bank, die dänische Nykredit und GES. Auch die Klassifikationsgesellschaft Lloyd’s Register ist mit von der Partie. Ziel ist die Verbreitung verantwortungsvoller Recyclingpraktiken. Bestehende Gesetze könnten im internationalen Kontext noch immer umgangen werden, die Transparenz bezüglich Verschrottungspolitik und -praktiken sei nicht ausreichend. Diese Informationslücke führe dazu, dass schlechte Praktiken nicht bestraft, gute nicht belohnt würden. Stakeholder könnten so keine informierten Entscheidungen treffen, heißt es.

Investoren versuchen aber verstärkt, ihre Risikoexposition zu reduzieren und erhöhen daher den Druck auf die Branche, Verantwortung beim Recycling zu zeigen, wenn Schiffe als Kreditsicherheit genutzt oder Möglichkeiten zur Neubaufinanzierung gesucht werden. Mitte Januar hatte der staatliche norwegische Pensions-Fonds – mit einem verwalteten Vermögen von rund 865 Mrd. € der größte Staatsfonds der Welt – Evergreen Marine, Precious Shipping, Korea Line und Thorensen Thai Agencies von ihrer Liste für mögliche Investitionen gestrichen. Grund ist die Verschrottung von Alttonnage an den Stränden von Gadani in Pakistan und in Chittagong in Bangladesch. Einen solchen Vorstoß hält Gramann für nicht hilfreich. Es müsste seiner Meinung nach im Einzelfall auf Grundlage eines transparenten Kriterienkatalogs geprüft werden. Pauschal nur Anlagen in der Türkei oder in China den Segen zu erteilen, sei keine Lösung. China und die Türkei hätten zwar ein gutes Image, es gebe aber neben sehr guten Anlagen auch ebenso schlechte. »Das müssen die Leute mal verstehen und sich darum bemühen. Entweder mit eigenen Leuten oder mit Hilfe externer Experten«, sagt er.

Felix Selzer