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Digitale Datenbrillen gehören in vielen Lagerhallen inzwischen zum Standard. In der maritimen Wirtschaft hat der Einsatz von Augmented Reality (AR) ebenfalls Potenzial. Die Lürssen-Werft ist schon dabei, auch Reedereien zeigen Interesse. Von Claudia Behrend

Guter Rat ist teuer, wenn es auf hoher See oder in abgelegenen Regionen technische Probleme gibt, die die Mannschaft nicht[ds_preview] allein lösen kann. Dann muss sich ein Experte auf den Weg machen, was nicht nur seinen Preis hat, sondern auch Zeit kostet. Ein alternativer Lösungsansatz ist die Fernassistenz durch einen Experten. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass der Techniker an Bord Fotos und Videos von dem betroffenen Bereich machen und diese zur Verfügung stellen kann. »Grundsätzlich wäre dies zwar auch mit einem Smartphone und einem Tablet möglich. Allerdings braucht man in der Realität in solchen Situationen meist beide Hände«, sagt Leonid Poliakov, Vice President Customer Success bei Ubimax in Bremen. Der nach Unternehmensangaben führende Hersteller vollständig integrierter industrieller »Wearable Computing«-Lösungen setzt deshalb seit seiner Gründung im Jahr 2011 vor allem auf Augmented Reality mittels Einsatzes digitaler Datenbrillen. Das Unternehmen mit derzeit 60 Mitarbeitern an den Standorten in Bremen und Frankfurt sowie in den USA und Mexiko verspricht dadurch eine Effizienzsteigerung von bis zu 50%. Welche Vorzüge diese Technik beispielsweise der Logistik bietet, haben die Unternehmen längst erkannt. So gehören seit dem vergangenen Jahr bei DHL AR-gestützte »Smart Glasses« zur Standardausrüstung in den Lagern. Dazu werden in den von den Mitarbeitern getragenen Datenbrillen beim Picking schrittweise Arbeitsanweisungen und Hinweise eingeblendet, zum Beispiel wo sich der gesuchte Artikel befindet und wo er auf dem Wagen zu positionieren ist. Damit entfällt nicht nur der Bedarf für schriftliche Anweisungen, sondern der Kommissionierer hat die Hände frei und kann so effizienter und fehlerfreier arbeiten. Milliardenumsätze mit AR Dass die Logistik eine der ersten Branchen ist, in der AR-Datenbrillen zum Einsatz kommen, bestätigt auch eine Analyse des US-amerikanischen Forschungsinstituts ABI Research aus dem Oktober vergangenen Jahres. Demnach soll 2017 die Logistik immerhin 24% der Lieferungen digitaler Datenbrillen generieren, womit 2017 allein diese Branche einen Umsatz von 52,9Mio. $ und 2022 von 4,4Mrd. $ erzielen soll. Während es produktive Lösungen für die Logistik bereits seit 2014 gibt, sind robuste Brillen für den Einsatz in der maritimen Wirtschaft erst seit etwa einem Jahr verfügbar. »Der Preis für eine solche Datenbrille liegt bei etwa 1.500€, hinzu kommen Lizenzpreise und Servicekosten, wie etwa zum Betrieb des Cloud-Servers«, berichtet Poliakov. Auch in der maritimen Wirtschaft gibt es eine Vielzahl von Anwendungsmöglichkeiten für digitale Datenbrillen. »Die Bandbreite reicht vom Einsatz beim Schiffbau über die Wartung, den Service und die Reparatur bis hin zur Be-und Entladung, zur Qualitätssicherung und zur Inspektion von Containern«, so der Experte weiter. »Eine Remote-Assistenz ist dafür in den allermeisten Fällen gar nicht erforderlich.« Sollte eine Fernunterstützung erforderlich sein, ist Voraussetzung eine Internetverbindung. »Diese kann beispielsweise mit mithilfe eines mobilen LTE(Long Term Evolution)-Routers sichergestellt werden«, so Poliakov. »Grundsätzlich aber ermöglichen unsere Fat Clients-basierten Wearables mit eigener Rechen- und Speicherkapazität den Abruf der Daten auch offline.« Diese wurden anfangs noch von Ubimax für die Kunden erstellt. Das Problem dabei: »Die Workflows sind nicht skalierbar.« »Mixed Reality« benötigt Zeit Daher hat das Unternehmen mit dem »Frontline Creator« ein Tool entwickelt, mit dem die Kunden selbst die Inhalte erstellen können. Auf einer webbasierten Oberfläche können so auch sehr komplexe Vorgänge ohne IT- und Programmierkenntnisse abgebildet und dann in der Brille beispielsweise in Form von Sprachbefehlen, Diagrammen und Checklisten eingeblendet werden. Dabei können verschiedene Benutzerprofile hinterlegt werden, beispielsweise für eine Rot-Grün-Sehschwäche und Fremdsprachen. Die Dokumentation des Anwenders ist als Datennotiz, Foto, Sprachaufnahme und Video möglich. »Technisch gesehen wäre Mixed Reality mit der Hololens natürlich das Nonplusultra«, betont Poliakov. »Damit kann die angezeigte Information sofort in Referenz mit der Realität gesetzt werden.« Noch gebe es hier allerdings zwei Probleme: Zum einen sei die Ergonomie der Brille beispielsweise aufgrund des Gewichts und des kleinen Gesichtsfelds noch unzureichend und nicht für einen achtstündigen Arbeitstag geeignet, zum anderen müsse eine Großzahl von Daten eingepflegt und die vielen Schnittstellen zwischen den verschiedenen Beteiligten miteinander verknüpft werden. Bei einem der größten Logistikdienstleister und bei einem Automotive-Hersteller komme diese Technik für die kurzfristige Nutzung im Rahmen zu Vorführzwecken zum Einsatz. Wenig Chance für Virtual Reality Die Nutzung von Virtual-Reality-Datenbrillen macht nach Einschätzung von Poliakov hingegen für die Werker in der maritimen Wirtschaft nur wenig Sinn, denn: »Der Mitarbeiter muss die Realität sehen.« Unabhängig davon, welche Technik zum Einsatz komme, sei ein gutes Change-Management erfolgskritisch: »Die Einbindung der Mitarbeiter ist unerlässlich, da nur sie die Prozesse aber auch die Probleme vor Ort wirklich kennen.« Sorgen machen bräuchten sich die Arbeitnehmer nicht. »Wir können die digitalen Datenbrillen schließlich keinem Roboter aufsetzen.« Ziel sei es vielmehr, die Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine effizienter und ergonomischer zu gestalten. All dies hat offensichtlich die inzwischen rund 200 Kunden von Ubimax überzeugt, mit denen das Unternehmen 2016 2,6Mio. € Umsatz erzielte. Seit dem vergangenen Jahr zählt dazu auch die Bremer Werft Lürssen. Sie hat Lizenzen für Werft-eigene Workflows für Reparaturen gekauft und erhält von Ubimax einen Remote-Support für die Datenbrillen. Das größte Potenzial im maritimen Sektor sieht Poliakov künftig vor allem bei den großen Reedereien, mit denen Ubimax derzeit Gespräche führt. »Die Auftragslage ist gut, der Markt zieht gerade sehr stark an«, freut er sich. Es seien bereits jetzt viele Unternehmen, die ihre Erfahrungen mit den Brillen sammeln. Andere warteten ab, bis es ein Massenmarkt werde. Poliakov: »Die Frage ist daher nicht mehr ob, sondern nur wann die Unternehmen die Technik nutzen.«


Claudia Behrend