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Jüngst wurde in Brunsbüttel das zweite Lotsenversetzschiff »Steinburg« in Dienst gestellt, nachdem es nach Erprobungen, Testläufen und technischen Abnahmen von der Bauwerft Dockstavarvet an den Nord-Ostsee-Kanal überführt wurde

Das erste Schiff »Dithmarschen« war bereits im Dezember 2017 abgeliefert worden. Die beiden baugleichen neuen Lotsenschiffe werden von den Lotsenbrüderschaften[ds_preview] Elbe und NOK I für das Lotsrevier »Brunsbüttel Range« eingesetzt und gehören neben dem bereits 2017 abgelieferten SWASH-Lotsentender »Explorer« zur geplanten Ersatzbeschaffungsmaßnahme der inzwischen fast 60 Jahre alten Lotsenversetzschiffe »Osterriff«, »Kapitän Kircheiss« und »Kapitän Jürs«. Betrieb und Unterhalt der Fahrzeuge obliegen dem Lotsbetriebsverein, Außenstelle Cuxhaven.

Der Auftrag wurde nach einem EU-weiten »offenen Verfahren« im Januar 2016 durch die Fachstelle Maschinenwesen Nord (FMN Rendsburg) an die Werft Dockstavarvet in Schweden erteilt. Die FMN ist als technische Fachdienststelle im Zuständigkeitsbereich der Standorte Kiel und Aurich der Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt mit besonderen Ingenieuraufgaben, wie Planung, Entwurf und Abwicklung von Schiffsneubauten, insbesondere von Spezial- oder Behördenschiffen, beauftragt.

Wesentliche Anforderungen bedingten die Auslegung der Neubauten als Binnenschiffe. »Dithmarschen« und »Steinburg« sind die ersten Neubauten, die im Zuge der EU-Harmonisierung als Binnenschiffe in Schweden gebaut und zertifiziert wurden. Nach der Überführung nach Deutschland mussten sie einer abschließenden Abnahme durch die Zentrale Schiffsuntersuchungskommission (ZSUK) unterzogen werden.

Konzeption und Entwurf

Das Einsatzprofil ist bestimmt von schnell zu absolvierenden Anfahrtswegen, kontinuierlichen und sicheren Boardingfahrten an der Bordwand sowie einem schnellen Lösen, Abdrehen und Entfernen von den zu besetzenden Schiffen. Der Entwurfsprozess bei der FMN Rendsburg wurde bestimmt durch das Anforderungsprofil des Lotsbetriebsvereins. Dieses basiert insbesondere auf den Seegangsbedingungen im Einsatzgebiet sowie den Erfahrungen mit den zu ersetzenden Schiffen. Hierzu zählten neben räumlichen Vorgaben auch die notwendigen Höhen für das Übersteigen der Lotsen, eine uneingeschränkte Rundumsicht vom Steuerstand einschließlich einer guten Sicht auf alle Übersetzebenen, eine hohe Geschwindigkeit und minimale seegangsinduzierte Vertikalbewegungen. Im Ergebnis erarbeitete die FMN einen Projektentwurf, der in Zusammenarbeit mit der SVAtech in Potsdam optimiert wurde. Die Lotsenversetzschiffe wurden nach den Vorschriften für Binnenschiffe und unter Aufsicht des DNV GL gebaut und mit dem Klassezeichen »GL + 100 A 5 (IN 2) E Intact stability« für das Schiff und »GL + MC (IN 2) E« für die Maschinenanlage abgenommen.

Um in dem für das Einsatzgebiet typisch kurzwelligen und steilen Seegang eine geringe seegangsinduzierte Vertikalbeschleunigung zu gewährleisten, wurden die Schiffe mit einem schlanken Vorsteven und einem darunterliegenden wulstförmigen Auftriebskörper konzipiert. Diese Linienführung ermöglicht eine maximale Geschwindigkeit von 26km/h. Die Länge in der Konstruktionswasserlinie beträgt 26m, die Rumpfbreite 7m und der Tiefgang 2,60m. Ausfallende Knickspanten unterstützen die Rollstabilität. Über ihre gesamte Länge gekrümmte Wasserlinien schließen parallele Schiffsaußenhautbereiche zur Vermeidung von unkontrolliertem Querversatz bei Boarding-Manövern aus. Das Hinterschiff ist für ein sicheres Abdrehen von den Bordwänden eingezogen. Gemäß dem Anforderungsprofil wurden die Schiffe mit einer Hauptdeckhöhe von 1,80m über der Wasserlinie konzipiert. Für Fahrzeuge mit einer geringeren Überstiegshöhe und für Bergungsmanöver sind beidseitig Nischen 0,60m über der Wasserlinie eingelassen. Über das hydraulisch angetriebene, seitlich verfahrbare Lotspodest ist 3m über der Wasserlinie eine dritte Überstiegsebene angeordnet. Der Aufenthaltsraum auf dem Hauptdeck ist für neun Personen ausgelegt.

Zur Sicherstellung der geforderten uneingeschränkten Rundumsicht konnte aufgrund der geforderten Auslegung als Binnenschiff auf Ansaug- bzw. Abgasschächte oberhalb der Steuerhausfensterebene verzichtet werden. Um den hohen Anforderungen an eine gute Sicht auf die verschiedenen Lotsübersetzebenen zu entsprechen, ist das Steuerhaus beidseitig mit je einem Fahrstand ausgerüstet. Unter Deck ist ein Aufenthaltsraum mit Pantry und Sanitärbereich vorhanden, ein zweiter Sanitärbereich befindet sich auf dem Hauptdeck. Der Zugang zum Maschinenraum erfolgt durch einen von den anderen Räumen unter Deck vollständig abgetrennten separaten Zugang.

Der 27,60m lange Schiffskörper ist in Querspantbauweise aus Stahl gefertigt und wurde mit drei wasserdichten Schottwänden versehen. Der Unterwasserkörper im Vorschiffsbereich ist als Ballasttank ausgeführt. Das achterliche Skeg, das den Propeller um 100 mm überragt, ist mit festem Ballast ausgefüllt. Ein Fishtail-Ruder sichert auch bei geringer Fahrt eine hohe Manövrierfähigkeit. Im Bereich möglicher Eiseinwirkungen ist zur Verstärkung ein zusätzlicher Längsstringer eingezogen, dieser dient gleichzeitig als Unterbau für die unteren Fender. Die umlaufende Fenderung wurde entsprechend den spezifischen Anforderungen des Betreibers ausgeführt. Aus Stabilitätsgründen sind die Aufbauten aus Aluminium gefertigt und über Schweißverbinder mit dem Deck verbunden.

Davon ausgenommen sind der separate Niedergang zum Maschinenraum und der aufklappbare Ansaugschacht im vorderen Schiffsbereich. Dieser Schacht dient gleichzeitig als Spritzschutz für das seitlich hydraulisch ausfahrbare Lotspodest. Die Hauptgangbereiche sind durch eine entsprechende Warmwasserführung beheizbar, die Handläufe besitzen eine elektrische Heizung. Der für die Lichterführung erforderliche Mast auf dem Vorschiff ist klappbar, um bei speziellen Übersetzbedingungen Kollisionen vermeiden zu können.

Neben der Rettungs- und Sicherungsausrüstung sind die Schiffe auf einer Seite mit einer aufblasbaren Aufnahmeplattform und zusätzlich mit einem Rettungsgalgen ausgerüstet.

Die Beschichtung erfolgte komplett mit Zwei-Komponentenprodukten in den Farben des Betreibers. Das Hauptdeck ist mit einer Antirutschbeschichtung versehen.

Antrieb und Energie

Der Antrieb erfolgt über eine vierflügelige Verstellpropelleranlage (Durchmesser 1,60m, Typ CAT MPP 490), die über einen Caterpillar-Hauptdieselmotor (CAT C 32) mit einer Leistungsabgabe von 895 kW bei 1.800 U/min sowie ein Reintjes-Getriebe (Typ WLS 730-1L) angetrieben wird. Alle Motoren werden über einen Kielkühler mittels Wärmetauscher von Fernstrum gekühlt. Die Brennstoffkapazität beträgt 12m³ und ist für einen Lotsversetzbetrieb für die Dauer von einer Woche ausgelegt. Der Brennstoff wird neben den Separ-Filtern auch durch eine Kraftstoffaufbereitungsanlage der Firma Mahle Typ KFWA gereinigt. Im Vorschiff arbeitet ein hydraulisch angetriebener Querstrahler von Sleipner/Side Power, der einen Schub von 10kn erreicht. Die Ruderanlage des Fishtail-Ruders wird von einer vom Hauptmotor angetriebenen Hydraulikpumpe und einer elektrischen Stand-by-Pumpe versorgt.

Für einen gefahrfreien Übergang der Lotsen im Winter werden etwa 100m² Decksflächen in den Gangbereichen beheizt. Das Beheizen dieser Decksflächen sowie auch aller in den Aufbauten befindlichen Betriebs- und Aufenthaltsräume erfolgt energiesparend durch die Motorabwärme sowie bei Notwendigkeit zusätzlich über einen 75-kW-Kabola-Heizkessel. Darüber hinaus verfügen die Neubauten über eine Lüftungs- und Klimaanlage von Dometic/Marine Air.

Die Energieerzeugung wird durch zwei gleich große Dieselgeneratoraggregate (CAT C4.4) mit je 38 kW Leistung realisiert. Das Powermanagementsystem der Firma Deif regelt und steuert die Generatoren je nach Energiebedarf. Die Überwachung der verbauten elektrischen Systemkomponenten übernimmt eine Maschinenüberwachungseinrichtung der Firma Böning. Diese lieferte auch die Steuerung und Überwachungsanlage für die LED-Positionslaternen und die zum Schutz gegen Vereisung dazugehörigen Heizplatten. Des Weiteren wurde darauf geachtet, den Energieverbrauch an Bord so gering wie möglich zu halten, deswegen wurde in weiten Teilen eine energiesparende LED-Beleuchtung verbaut. Das Schiff verfügt über einen doppelten Navigations- und Suchscheinwerfer der Firma Colorlicht Typ CL-25.

Nautische Ausrüstung

Die zwei Steuerfahrstände wurden in Abstimmung mit dem Betreiber nach den Prinzipien von übersichtlich zu bedienenden ergonomischen Ein-Mann-Radarfahrständen ausgelegt. Auf der Grundlage der Spezifikation sowie der bestehenden Vorschriften für Binnenschiffe erfolgte die Planung, Lieferung und Inbetriebnahme der nachrichtentechnischen Anlagen durch Alphatron aus Pinneberg.

An jedem der zwei Steuerfahrstände steht der Schiffsführung eine Binnenradaranlage vom Typ JMA 610 der neuesten Generation mit einer aktiven Systembedieneinheit zur Verfügung. Zur Erhöhung der nautischen und betriebstechnischen Fähigkeiten des Schiffes wurden zusätzlich zwei Multifunktions-Tochtersichtgeräte zwischen den beiden Fahrständen auf einer Drehkonsole vorgesehen. Durch Umschaltmöglichkeiten sind zusätzliche Darstellungen von Radar 1 und 2 sowie eines Binnenkartensystems vom Typ Radarpilot IN 720° FE möglich. Zur allgemeinen Information der Lotsen wurde ein passives Tochtersichtgerät des Kartensystems im Aufenthaltsraum vorgesehen.

Wichtige nautische Informationen wie Kompasskurs, Schiffsposition, AIS-Daten, Tiefenangaben und Drehgeschwindigkeit werden über nautische Einzelanlagen generiert, dargestellt und über Schnittstellen an Radar und Binnenkartensystem zur weiteren Bearbeitung übermittelt. Zur Entlastung und Unterstützung der Schiffsführung wurde für jeden Fahrstand ein digitaler Binnenautopilot vom Typ Alphapilot MF vorgesehen. Die Regelung erfolgt über einen Wendekreisel über die Drehrate und ist im Selbststeuerbetrieb mit dem Ruder verknüpft. Die Autopiloten werden über ein Take-Over-System am Fahrstand aktiviert.

Zur Übermittlung akustischer Signale wurde eine mit Luftdruck angesteuerte Typhon-Anlage (Makrofon) mit Signalautomat und einer Manöversignalleuchte von Zöllner ausgestattet. Aus Sicherheits- und Redundanzgründen wurde zusätzlich noch ein Zetfon (elektrisch) als Notsystem vorgesehen. Die Kommunikation mit den Schleusen oder anderen Schiffen wird über zwei UKW-Kombifunkanlagen für Binnenfunk sowie einer UKW/DSC-Seefunkanlage gewährleistet. Die Ausstattung mit funktechnischen Rettungsmitteln besteht aus zwei Satellitenseenotfunkbaken, SART-Transponder, AIS-Transponder und zwei UKW-Handsprechseefunkgeräten.

Für die interne Betriebskommunikation wurde das Fahrzeug mit einer Wechselsprechanlage vom Typ ETB 20 von Zenitel mit zwei Hauptsprechstellen und elf Untersprechstellen ausgestattet.

Die Kommunikation in das öffentliche Netz erfolgt über eine GSM-Mobilfunkverbindung mit einem Gateway von Kuhnt vom Typ WLL-550 Pro. Eine DECT-Station mit schnurlosen Telefonen gewährleistet den mobilen Bordbetrieb. Ein eigenes LAN-Netzwerk mit Netzwerkswitch und Multifunktionsdrucker sichert den Betrieb über Internet, Fax- sowie E-Mails. Die Ausstattung an meteorologischen Anlagen für die Darstellung der Windgeschwindigkeit/-richtung, der Lufttemperatur, des Luftdrucks und der relativen Luftfeuchte wird über Anlagen der Firma Thies gewährleistet. Zur visuellen Beobachtung von Arbeiten auf Deck und im Maschinenraum wurden Kameras von Platec vorgesehen.

Schritt zu moderner Flotte

Nach der Indienststellung der zwischen 2009 und 2011 gebauten sechs Lotsenversetzboote für die Kieler Förde und Lübecker Bucht (HANSA 10/2011) wurde mit dem Neubau der »Dithmarschen« und »Steinburg« der Generationswechsel der Lotsenversetzschiffe an der deutschen Küste weitergeführt. Dem Lotsbetriebsverein stehen nun zwei wirtschaftlich zu betreibende Einheiten zur Verfügung.

Die technisch modernen Schiffsneubauten »Dithmarschen« und »Steinburg« führen darüber hinaus zu deutlich verbesserten Arbeitsbedingungen und stellen damit einen weiteren Schritt zur Modernisierung der Flotte der Lotsenschiffe dar.


Peter Bielke, Michael Joecks, Hans Bornschein,