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Die großen Third-Party-Bereederer arbeiten mit Hochdruck an der Digitalisierung von Prozessen. Ihr Ziel ist es, mehr Vorsprung bei Produktivität und Sicherheit zu erlangen.

Der Beginn einer neuen Wachstumsstory? Von Michael Hollmann

So abgedroschen das Schlagwort der Digitalisierung auch erscheinen mag, dass die Vernetzung von Prozessen, Organisationseinheiten und Schiffsystemen eine – wenn nicht[ds_preview] DIE – entscheidende Herausforderung für die Bereederung darstellt, ist in der Branche inzwischen unstrittig. Auf unterschiedlichsten Ebenen treiben die großen Ship Manager jetzt verstärkt neue Technologien voran, um die Performance im Schiffsbetrieb zu optimieren und die Kommunikation zu allen Seiten hin – Reeder, Charterer, Seeleute, Lieferanten – zu vereinfachen. Bis zur Umsetzung eines »Internets der Dinge« im großen Stil ist es noch ein weiter Weg mit vielen Zwischenetappen. Aber die eigene Unternehmensentwicklung und das Business Development zeigt bei allen Dienstleistern deutlich in diese Richtung.

Die britische V.Group – Branchenprimus mit knappem Vorsprung vor Anglo-Eastern mit Hauptsitz in Hongkong – hat unter ihrem neuen Eigentümer Advent International millionenschwere Investitionen in ein »Transformationsprogramm« angekündigt, um Vernetzung und Einsatz neuer Technologien voranzutreiben. In diesem Zusammenhang hat das Unternehmen Ende vergangenen Jahres einen neuen Vorstandsposten eingerichtet und den Briten Jon Key (zuvor Royal Mail) zum Chief Transformation Officer ernannt. Schwerpunkte des Programms bilden nach Auskunft von Chief Commercial Officer Martin Christiansen die Weiterentwicklung des zentralen IT-Systems Shipsure, die Fernüberwachung der Flotte und der Aufbau von Kompetenzzentren für bestimmte Schiffstypen und Aufgabenbereiche. Seit diesem Jahr bietet V.Group die Shipsure-Software auch als mobile App für Kunden, Mitarbeiter und Dienstleister an. Als nächstes sollen das Personalmanagement und die Kommunikation mit Seeleuten noch stärker auf elektronische Prozesse umgestellt werden (»Crew Transformation Programme«). Zudem wurde am Hauptstandort der Bereederung Glasgow eine sogenannte »Fleet Cell of the Future« eingerichtet – ein interdisziplinäres Team von Spezialisten und Superintendenten, die gemeinsam Schiffe betreuen. Diese Einheit diene auch als »Testlabor« für den Einsatz neuer Technologien in Kooperation mit Lieferanten, führt Christiansen aus. Schon heute werde der Betrieb von 400 Schiffen zentral mit der Softwarelösung COACH überwacht, die Superintendenten weltweit mit Status-Reports und Warnhinweisen versorgt. Weiterreichende Big-Data-Projekte werden von einer eigenen Einheit (V.Insight) gesteuert.

Bestimmte Ship-Management-Funktionen wie Health, Safety, Environment and Quality sollen in den kommenden Jahren in »Exzellenzzentren« gebündelt und den Mitarbeitern in den Regionen als Service bereitgestellt werden. »Die Superintendenten, die das Rückgrat der Organisation bilden, müssen heute Supermänner sein, um allen Aufgaben gerecht zu werden«, erklärt Christiansen. »Die Exzellenzzentren sollen ihnen Arbeit abnehmen, damit sie mehr Zeit gewinnen, um Kunden und Schiffe zu betreuen«.

Auch große und kleinere Wettbewerber der V.Group arbeiten mit Hochdruck am Ausbau zentraler Abteilungen für die datengestützte Überwachung der Flotten – zur Unterstützung der Verantwortlichen auf See und an Land und um Verbesserungsprozesse anzustoßen.

Bernhard Schulte Shipmanagement (BSM) hat sein »Fleet Performance Centre« am Standort Athen dieses Jahr ausgebaut, um noch intensiver Effizienzverbesserungen quer über die gesamte Flotte voranzutreiben, wie Chief Executive Officer Ian Beveridge berichtet. »Wir hatten dort schon seit ein paar Jahren ein kleines Team. Zum Jahresanfang haben wir es offiziell zu einem Zentrum erklärt, die Ressourcen aufgestockt und einen strukturierten Plan eingeführt.« Neun Mitarbeiter umfasse das Team, von denen drei nahezu ständig draußen bei den Schiffen und lokalen Niederlassungen seien, u.a. zu Trainingszwecken. 30 eigene Schiffe der Schulte Group seien bereits umfassend mit Sensoren zur Fernüberwachung des Betriebs ausgestattet. »Auch unsere Kunden fangen damit an«, so Beveridge. Zunächst sei viel Vorarbeit nötig, um die Erhebung und Auswertung der Daten zu standardisieren – »damit sie für bestimmte Gerätschaften auf allen Schiffen wirklich aussagekräftig sind.« Der Nutzen dieser »Big Data« lasse sich bislang nur begrenzt erschließen. »Wie allen anderen sammeln wir fleißig Daten, aber wir ziehen daraus noch nicht ausreichend Vorteile. Das ganze befindet sich weiter im Aufbau«, sagt Beveridge. Bei Analyse und Aufarbeitung der Daten verlässt sich BSM auf die unternehmenseigene Software-Schmiede MariApps, die quasi das Gegenstück zu ShipSure bei der V.Group darstellt. Aus Sicht des BSM-CEO ist es bedauerlich, dass alle Third-Party-Manager beim Thema »Big Data« und neue Technologien ihr eigenes Süppchen kochen. »Das ist das Problem in unserer Branche. Alle arbeiten an denselben Themen, und es findet kaum Kollaboration statt. Da wird viel an Ressourcen vergeudet.«

Bei einem anderen Thema konnte sich BSM dieses Jahr allerdings mit einem bedeutenden Wettbewerber verbünden. So bündelt das Unternehmen seit kurzem seinen Einkauf mit Columbia Shipmanagement in der Gemeinschaftsfirma GenPro. Von Ersatzteilen über Schmiermitteln bis Proviant sollen in den kommenden Monaten eigene Kontrakte mit Lieferanten gezeichnet werden. Aufgrund der Mengeneffekte – zusammen sind die Partner für rund 650 Schiff voll verantwortlich – versprechen sich die Firmen »Bestpreise«, die direkt an Kunden durchgereicht werden sollen. Die teilnehmenden Reeder könnten die Bücher von GenPro einsehen, »somit besteht volle Transparenz«, so Beveridge. Die erhöhte Einkaufsmacht ermögliche nicht nur gute Preise sondern auch verbindliche Vereinbarungen mit Lieferanten in Bezug auf Logistik und Qualitätsstandards.

Im Hinblick auf Vernetzung und digitale Flottensteuerung plant Columbia derweil einen eigenen Vorstoß, wie President Mark O’Neil ausführt. Spätestens im September will das Unternehmen seine Abteilung für »Fleet Performance Optimisation« in Zypern eröffnen. »Unser Ziel ist es, uns nicht durch Digitalisierung sondern durch Optimierung vom Wettbewerb abzusetzen«, erklärt O’Neil. Zweck der Einrichtung ist es demnach, Kapitänen und Superintendenten laufend über die Schulter zu gucken, um Verbesserungsvorschläge zu unterbreiten. So sollen Schulungsprogramme für Seeleute kurzfristig an die Reisepläne der Schiffe angepasst, Wartungs- und Reparaturarbeiten automatisch umgeplant werden, wenn es Liegezeiten erlauben etc. Auch Simulationen und Analysen zur Optimierung des Schiffsbetriebs gehören zum Aufgabenspektrum. Die Möglichkeiten sollen den Kunden laut O’Neil »wie auf einer Speisekarte« präsentiert werden. Mit drei Arbeitsplätzen im Dreischichtbetrieb will Columbia zuerst in Zypern loslegen, später auch Ableger in Deutschland und Singapur einrichten.

Völlig offen ist hingegen noch, wie in Zukunft die Zusammenarbeit zwischen Columbia und der Schwesterfirma Marlow – beide seit vergangenem Jahr vereint in der Holding Columbia Marlow – gestaltet werden soll. Bislang beschränkten sich die Synergien auf Geschäftsreisen, Versicherungen und gewisse administrative Bereiche. »Beide Firmen arbeiten grundsätzlich getrennt voneinander. Es sind dieselben Leute, die weiter zuverlässig dieselben Kunden wie früher versorgen.« Eine stärkere Integration sei denkbar, nach derzeitigem Stand aber nicht geplant, so O’Neil.

In puncto Digitalisierung liegen aber auch etwas kleinere Wettbewerber gut im Rennen. Die OSM Group (rund 150 Schiffe im Vollmanagement) mit Hauptsitz auf Zypern hat gerade ihr »Maritime Operations Centre« in Singapur in Betrieb genommen – als zentralem Daten-Hub für die gesamte Flotte und die 30 Niederlassungen weltweit. Es solle Live-Transparenz im weltweiten Betrieb mit dazugehörigen Analyse- und Intelligence-Tools bieten und zu einem Innovationszentrum ausgebaut werden. Ebenso große Ambitionen verfolgt die Thome Group (235 Schiffe im Vollmanagement) mit ihrem gerade eröffneten »Operations Hub« in Singapur. Gautam Kashyap, Vice President Business Development, bezeichnet es als »Back-up« und als »dritte Instanz« zur Unterstützung der Superintendenten in den 12 Niederlassungen weltweit. Der Aufbau des »Operations Hub« folgt einem Dreistufenplan mit aufsteigenden Interventionsmöglichkeiten. Bei voller Ausbaustufe soll der Hub in der Lage sein, diverse Problemlösungen im technischen Bereich per Fernsteuerung zu übernehmen. »In drei Jahren wollen wir diese dritte Stufe erreicht haben«, erklärt Kashyap. Technologische Details werden nicht genannt, aber es verdeutlicht die Marschrichtung.

Eine stattliche Anzahl von Projekten im digitalen Bereich kann auch Wilhelmsen Ship Management vorweisen. Die Tochtergesellschaft des norwegischen Schifffahrtskonzerns hat gerade ihr Hauptquartier von Kuala Lumpur nach Singapur verlegt. Der Dienstleister hat eine Flotte von zehn Gastankern eines Kunden mit Sensorik ausgestattet, die einem Internet der Dinge sehr nahe kommen soll. »Es ist nicht nur Performance-Überwachung, sondern ein Live-System mit laufender Datenübertragung statt stündlichen oder mehrstündlichen Intervallen«, erläutert President Carl Schou den aus seiner Sicht entscheidenden Unterschied. Ziel sei es, durch laufende Überwachung Fortschritte im Bereich der vorausschauenden (»prädiktiven«) Wartung zu machen und dadurch technische Pannen auszuschalten. Das Pilotprojekt wird aus Kuala Lumpur heraus betreut. »Je nachdem wie die Ergebnisse ausfallen, wird das System auf die Flotte ausgedehnt.« Auch kommen Schou zufolge zunehmend Simulationen und Modelle zum Einsatz, um technische Analysen und die Planung von Reparaturen zu unterstützen. Dabei profitiert Wilhelmsen Ship Management von Zukäufen der Konzernmutter wie der Übernahme eines 50%-Anteils am Startup Dolittle vor einigen Monaten. Zusammen mit dem Partner werden bereits »digitale Zwillinge« – also 3-D-Modelle – von bestimmten Schiffen angefertigt, um so technische Probleme am Modell analysieren zu können. Und so wie größere Wettbewerber hat auch Wilhelmsen unlängst eine Führungsposition für digitale Innovationsthemen (Head of Digital) eingerichtet.

Relativ bedeckt hielt sich bislang Anglo-Eastern, die Nummer 2 unter den großen Third-Party-Managern, beim Thema neue Technologien. Bei der Anzahl von Schiffen im vollen technischen Management hat das Unternehmen aus Hongkong inzwischen zu V.Group aufgeschlossen. Nur eine Handvoll Schiffe von insgesamt 647 (Stand: 1. Juli) sei bislang mit Sensorik zur Ferndiagnose ausgestattet, erklärt Chief Executive Bjorn Hojgaard. Was aber nicht bedeutet, dass das Unternehmen keine zentrale Überwachung des Schiffsbetriebs vornimmt – die Daten dafür müssen nur bislang manuell abgelesen und in regelmäßigen Statusberichten an Land übertragen werden. »Das ist noch weit entfernt von einem Internet der Dinge, bestimmt ein paar Jahre«, beurteilt Hojgaard die gängige Praxis. »Die Wirklichkeit sieht so aus, dass die Standardschiffe aus asiatischen Werften genauso rudimentär ausgestattet sind wie vor 25 Jahren. Sie sind deshalb nicht schlecht, es sind die Arbeitspferde unserer Industrie.«

Seit kurzem sorgt auch bei Anglo-Eastern ein Chief Digital/Information Officer mit Unterstützung eines eigenen Teams dafür, dass die neuen Technologiethemen noch stärker berücksichtigt werden. »Wir sind zusammen mit Partnern mit mindestens drei spezifischen Projekten beschäftigt«, so Hojgaard, der aber keine Einzelheiten nennen möchte. Anglo-Eastern sei stark an Kooperationen mit Lieferanten und mit akademischen Einrichtungen interessiert, um praktikable Lösungen für die Bereederung zu entwickeln. Längst etabliert hat die Firma wie andere auch spezielle Apps für die Kommunikation mit Seeleuten und ihr Kunden-Webportal für die Darstellung der schiffsbezogenen technischen und finanziellen Kennzahlen.


Michael Hollmann