Print Friendly, PDF & Email

Die Schifffahrtsorganisation Bimco geht davon aus, dass die Emissionen der Schifffahrt unabhängig von technologischen Neuerungen bis 2050 sinken, anstatt – wie vielfach behauptet – enorm steigen. Von Michael Meyer

Ausgangspunkt der Debatte um Emissionen und die daraus resultierende Notwendigkeit von umwälzenden Innovationen sind die bekannten Prognosen. Zuletzt war im[ds_preview] Rahmen des Pariser Klima-Abkommens und der wegweisenden Entscheidung der IMO von einer Steigerung der Schifffahrtsemissionen um 250% bis 2050 ausgegangen worden – Basis ist das Jahr 2008. Selbst weniger pessimistische Akteure erwarten eine Zunahme um 100%. Bei Bimco sieht man das mittlerweile gänzlich anders.

Die Organisation – immerhin Vertreter von rund 55% der Weltflotte – rechnet sogar mit einer Abnahme um knapp 20%. Angesichts des IMO-Ziels, die Emissionen bis 2050 um 50% zu senken, wäre das ein signifikanter Schritt nach vorne.

Ist das nun ein weiterer Akt im Kampf um die Deutungshoheit? Möglich. Sicher scheint allerdings, dass die Ergebnisse für Aufmerksamkeit sorgen werden, zu angesehen ist Bimco in der Branche.

Aber wie kommt es zu dieser großen Diskrepanz? »Wir haben schlichtweg eine bessere und vor allem realistischere Datenbasis für die Berechnungen gewählt«, sagt Bimco-CEO Angus Frew. Er, Präsident Anastasios Papagiannopoulos, der stellvertretende Generalsekretär Lars Robert Pedersen und Analyst Peter Sand hatten jüngst in London ihre neuesten Erkenntnisse veröffentlicht.

An der Methode hat sich seit der letzten, für die IMO erstellten Studie aus 2014 nichts geändert, wie Frew betont. Allerdings ist die Datenbasis neu. Dafür hatte das Bimco-Team die Experten von der niederländischen Nicht-Regierungsorganisation CE Delft kontaktiert, die schon die erste Studie verantworteten. »Auch die Daten stammen nicht von uns, wir haben nichts beschönigt«, betont der CEO.

Der Knackpunkt sind die Erwartungen zum weltweiten Bruttoninlandsprodukt GDP. Die meisten Prognosen für die Schifffahrtsemissionen beziehen sich auf GDP-Erwartungen von vor einigen Jahren. Seinerzeit war man ungeachtet der weltpolitischen Unsicherheiten von einem bis zu 5%-igen Wachstum für das nächste Jahrzehnt ausgegangen. Doch die Realität sieht nach Ansicht der Bimco-Experten anders aus. Man setzt auf einen langfristigeren Ausblick der OECD. »In den letzten Jahren haben wir nichts gesehen, was auch nur annähernd an diese Prognosen herankommt, also warum sollten wir das als Basis für die kommenden Jahre nehmen?«, fragt Pedersen. Realistischerweise lasse sich ein gänzlich anderes Bild zeichnen. »Die bisherigen Einschätzungen für die kommenden Jahre liegen rund zwei Prozentpunkte über dem, was wir in den letzten 40 Jahren gesehen haben. Das GDP wird aufgebläht«, meint auch Frew.

Es fehlten 20% des Seehandels

Für eine Revision der Zahlen gibt es zudem weitere Gründe. Zum Einen war bei der letzten Erhebung einige Teile des Seehandels gar nicht einbezogen worden. Laut Pedersen betrifft dies etwa alles aus dem Bereich »Non-coal dry bulk«, insgesamt immerhin rund 20% der Tonnenmeilen der gesamten Schifffahrt. Da die Emissionsprognosen eine Relation zwischen dem GDP-Wachstum und den Tonnenmeilen herstellen bzw. aus dieser Relation und dem Bedarf an Tonnage abgeleitet werden, fällt das durchaus ins Gewicht. Fällt das Wachstum nun geringer aus, gibt es weniger Nachfrage nach Transporten und damit auch weniger Emissionen, so die Rechnung bei Bimco und CE Delft.

So einfach sich dies anhört, so unsicher bleiben Prognosen über die Weltwirtschaft, so viel ist klar. »Aber warum sich außer uns keiner daran gemacht hat, die Datenbasis zu aktualisieren, wissen wir nicht«, sagt Frew. Möglich sei, dass einige Akteure kein wirkliches Interesse daran haben, die Bilanz positiver ausfallen zu lassen, weil das den Forderungen nach einer »grüneren« Schifffahrt ein Stückweit den Boden entziehen würde. Entsprechend geringer fällt der Bedarf an technischen Innovationen, umfangreichen Umrüstungen oder gänzlich neuen Schiffsdesigns mit entsprechendem Neubau-Bedarf aus. Man sei fest davon überzeugt, dass die Schifffahrt ihren »Höchstwert« an Emissionen bereits 2008 erreicht habe, hieß es jetzt in London.

Welche Schlussfolgerung ziehen Frew und sein Team nun aus den Erkenntnissen? Nun, niemand bestreitet, dass die Schifffahrt vor großen Herausforderungen steht, um die strengeren Umweltregulierungen und die großen Ziele bis 2050 umsetzen zu können. Im Gegenteil, bei Bimco sieht man sogar großen Handlungsbedarf. Aber, so Frew, die Ausgangslage hat sich geändert. »Es ist schon einiges passiert, das wird oft übersehen. Jetzt kommt es darauf an, den Blick in die Zukunft zu richten, und zwar ohne übertriebene Sorgen.« Aus der existierenden Flotte sei in puncto Effizienz nicht mehr signifikant viel herauszuholen, zumindest mit Blick auf die strengeren Anforderungen. »Es muss jetzt darum gehen, gänzlich neue Wege zu gehen und jetzt schon viel mehr in die Forschung zu investieren, um eine CO2-neutrale oder sogar –freie Schifffahrt zu ermöglichen, um zumindest die Lücke zwischen knapp 20% und 50% weniger Emissionen zu schließen. Es ist höchste Zeit.«

Pedersen will das auch als Aufforderung an die Regulierer verstanden wissen. »Sie sollten sich weniger auf den kurzfristigen Ausblick fokussieren, sondern auf die Flotte der Zukunft.«

Regulierer sollten nicht vorangehen

Frew geht noch einen Schritt weiter: »Die vergleichsweise kleinen Effizienzgewinne in der aktuellen Flotte werden uns niemals zu Null Emissionen führen. Dafür bedarf es eines komplett neuen Denkens.« Pedersen ergänzt: »Je weniger Emissionen wir 2025 haben, desto später müssen wir auf Null-Emission-Technologie umstellen. Und das ist der größte und wohl auch schwierigste Schritt.« Wichtig aber sei, dass die aus seiner Sicht »korrigierten« Daten ein realistischeres Bild davon zeigen, was alles nötig ist, um den künftigen Anforderungen zu entsprechen. 2050 sei nicht so weit entfernt wie man meinen könnte.

In der Tat reicht ein Blick auf das durchschnittliche Lebensalter eines Schiffs. Geht man von durchschnittlich 25 oder mittlerweile nur noch 20 Jahren aus, werden die Schiffe, die 2050 fahren, schon ab 2025 gebaut. Von einem nach Ansicht vieler Experten benötigten Durchbruch bei alternativen, CO2-neutralen Antrieben ist nach derzeitigem Stand jedoch noch nichts zu sehen.

In der Pflicht sieht Pedersen dabei aber nicht zuerst die Regulierer, sondern die Industrie, die Lösungen entwickeln müsse. »Ich finde nicht, dass die Regulierer diese Entwicklung vorantreiben sollten, solange wir und sie nicht einmal wissen, was es voranzutreiben und zu regulieren gibt«, sagt Pedersen.

Am Ende wird abzuwarten bleiben, wie die Branche auf die neuen Prognosen reagiert und wer als nächstes eine eigene neue Rechnung aufstellt, die wiederum derjenigen von Bimco widerspricht. Unterschiedliche Interessen innerhalb und außerhalb der maritimen Industrie gibt es zumindest zuhauf. Eine Debatte dürfte es im Oktober geben, dann steht die nächste Sitzung des IMO-Umweltausschusses (MEPC) an.


Michael Meyer