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Schifffahrtskrise, »Brexit« und EU – die Einflüsse auf die Flaggenpolitik sind vielfältig. Brüssel nimmt dabei eine wichtige Rolle ein und erhöht offenbar den Druck, wie zuletzt auf Griechenland. In Deutschland ist man relativ gelassen

Margrethe Vestager, EU-Wettbewerbskommissarin, ist die Zahl der europäischen Flaggen auf europäischen Schiffen generell zu niedrig. Sie hat beispielsweise Griechenland[ds_preview] zum Jahreswechsel aufgefordert, den Anteil der EU-Flaggen auf ihren Schiffen zu erhöhen und einen Antrag des Landes abgelehnt, das griechische Steuersystem unberührt zu lassen, da die griechischen Unternehmen schon überbelastet seien.

Die Verdopplung der Tonnagesteuer für griechische Reeder sei nur eine vorrübergehende, freiwillige Maßnahme gewesen und nicht so zu verstehen, dass die EU von ihrer Einschätzung abrücke, dass das griechische Tonnagesteuergesetz die maritimen Richtlinien der EU verletze, so Vestager in einem Brief an die Regierung Griechenlands.

Die EU-Kommission habe keine Einwände gegen die Höhe der Tonnagesteuer, dafür aber gegen diskriminierende Senkungen und die vollständige Befreiung. Die dänische Politikerin, die ihren Posten bei der EU seit dem Jahr 2014 inne hat, betonte, dass die Erhöhung der Tonnagesteuer nur für die Jahre von 2014 bis 2017 gelte und nicht als dauerhaft verstanden werden könne. Diese Maßnahme sei ein Entgegenkommen, da die griechischen Reeder derzeit von Sparmaßnahmen betroffen seien.

Bisher dürfen die Flotten der Mitgliedstaaten den prozentualen Anteil der Tonnage, die seit 2004 unter einer EU-Flagge fährt, nicht unterschreiten. Sonst droht ein Konflikt mit den EU-Beihilferegeln mit Auswirkungen auf die nationale Schifffahrtsförderung.

Nach Einschätzung von Jörg Molzahn, Geschäftsführer bei der für die portugiesische Flagge aktiven Agentur Euromar, könnte auch von den deutschen Reedern gefordert werden, mehr Flaggen von EU-Ländern zu führen: »Die EU wird die Zügel anziehen. Deshalb ist die Bundesrepublik gut beraten, auf eine Erhöhung des Anteils an EU-Flaggen hinzuwirken« Es sei naiv zu glauben, dass die EU oder EU-Länder wie Griechenland so etwas nicht zur Sprache bringen würden. Er erwartet daher auch bezüglich der deutschen Reeder und deren Anteil an EU-Flaggen zeitnah eine Reaktion aus Brüssel.

Jörg Kaufmann, Abteilungsleiter Schifffahrt beim Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH), Teil der deutschen Flaggenverwaltung, sieht die Lage entspannter: »Der Anteil der deutschen Schiffe mit EU-Flagge liegt nach momentanem Stand noch so deutlich über dem Schwellenwert, dass ich das nicht erwarte. Damit sind wir auf der sicheren Seite.« Dass Überlegungen aus Brüssel umgesetzt werden, den geforderten EU-Flaggenanteil für europäische Schiffe verbindlich für alle auf einen bestimmten Wert zu erhöhen, hält er für unwahrscheinlich: »Das halte ich derzeit für kein realistisches Szenario für die nähere Zukunft.«

Der Brexit wird sich indes nicht sonderlich auf die Flaggenstaaten auswirken, meinen Experten, so Carsten Gierga, Geschäftsführer beim Liberian International Shipping & Corporate Registry (LISCR). Reeder, die die britische Flagge fahren, hätten dennoch erste Überlegungen angestellt, die Flagge zu wechseln. Welches Register sie stattdessen wählen könnten, hängt vom Einzelfall ab.

Da Großbritannien jedoch bisher zur EU zählte, wäre es nicht abwegig, sich auch wieder für die Flagge eines EU-Landes zu entscheiden. Im Falle der deutschen Reeder mache dies durchaus Sinn, denn bei Flaggen aus nicht EU-Ländern laufe Deutschland Gefahr, die erreichte Quote wieder zu unterschreiten, was nicht konform mit den EU-Bestimmungen sei, sagt auch Molzahn. Außenpolitisch würden auch die Isle of Man, Bermuda, Bahamas, Gibraltar und die Cayman Islands vom Vereinigten Königreich vertreten. Ein Ausstieg Großbritanniens aus der EU hätte also auch für diese Flaggenstaaten Folgen.

Die Schifffahrtskrise ist auch an den Flaggenstaaten nicht spurlos vorüber gegangen. Im Kampf um Kunden stehen sie untereinander in einem harten Wettbewerb. Für welche Flagge sich die Reedereien letztlich entschieden, liege in erster Linie an den angebotenen Serviceleistungen und an den Positionierungen in den Bewertungslisten, meint Gunnar Georgs vom Register der Marshall Islands.

Die Ansätze sind unterschiedlich. Das LISCR setzt Gierga zufolge verstärkt auf die Nutzung digitaler Medien, um die Abläufe zu vereinfachen und weniger anfällig für Fehler zu sein. Jüngst wurde das Electronic Oil Record Book eingeführt, in dem der Verbrauch an Ölen dokumentiert wird.

Die Nachweise über Ölverbräuche hätten in der Vergangenheit bei Hafenstaatkontrollen immer wieder zu Problemen geführt, sagt Gierga. Verantwortlich dafür seien häufig fehlerhafte Einträge gewesen. Auch Apps sollen in Zukunft vermehrt bereitgestellt werden. Zudem hat das Register nach eigenen Angaben das Ziel, den Anteil der »grünen Schiffe« zu erhöhen. Dafür wurde eine Partnerschaft mit der US-amerikanischen Firma Ursus Maritime Capital geschlossen und ein Programm für eine Finanzierung umweltfreundlicher Umrüstungen entwickelt. Darüber hinaus bietet LISCR nach eigenen Angaben Tonnagesteuernachlässe an, für Schiffe, die an dieser »grünen Initiative« teilnehmen.

Das Liberia-Register arbeitet eng mit der Flagge Luxemburgs zusammen. Wenn sich Reeder also für Luxemburg als Flaggenstaat entscheiden, und somit zur EU-Flagge gerechnet würden, stünde dahinter das LISCR. Euromar weist jedoch darauf hin, dass einige deutsche Reedereien dennoch von Luxemburg wieder nach Portugal umgeflaggt hätten.

Das Register geht auch deshalb in Zukunft von einem Wachstum der eigenen Flotte aus. Das bei der Gründung vor zweieinhalb Jahren ausgegebene Ziel, 1.000 Schiffe innerhalb von fünf Jahren unter portugiesische Flagge zu bringen, wird weiterhin als realistisch eingestuft. »Ich sehe hier keine Bedrohung für die deutsche Flagge«, meint Jörg Kaufmann vom BSH zu diesen Aussichten.

Ein Reeder erwarte zu Recht von seiner Flagge Dienstleistung und Verfügbarkeit. Wichtig sei überdies die Einhaltung von Vorschriften, Sicherheitsstandards und arbeitsrechtlichen Schritten. Ein so teures Anlagevermögen, wie ein Schiff, müsse ständig in Bewegung bleiben, um seinen Kapitaldienst zu erbringen und seinen Eigentümer eine Rendite zu verdienen. Ein Reeder könne es sich nicht leisten, auch nur einen Tag oder weniger offhire zu gehen. Gleichzeitig sei die Schifffahrt hoch reguliert. d.h. die Flagge müsse sich auch als administrativer Dienstleister verstehen, so Molzahn.

Einen Wettbewerb erkennt Kaufmann vor allem unter privaten Agenturen, die wegen ihres Geschäftsmodells an der Vergrößerung ihrer Flotten interessiert seien. Das gelte auch innerhalb der EU. Natürlich habe jeder Staat ein Interesse an einer nationalen Handelsflotte. Jedoch weniger wegen möglicher Steuereinnahmen, als vielmehr wegen des Gewichts in den Gremien der Weltschifffahrtsorganisation IMO oder zur Sicherung von Know-how und Arbeitsplätzen. »Wir räubern ganz sicher nicht bei anderen Flaggen, um an Steuereinnahmen zu kommen«, sagt er.

Vorzüge bei Hafengebühren

Ein Argument für einen Flaggenwechsel können Vorteile darstellen, die mit bestimmten Registern verbunden sind. Einige Flaggenstaaten genießen in einigen Ländern Privilegien bezüglich der Hafengebühren. In Brasilien müssen einige Flaggen beispielsweise nicht die sogenannte Lighthouse Fee bezahlen, darunter Portugal und Deutschland. Dies seien pro Hafenanlauf je nach Schiffsgröße immerhin bis zu 3.000$, so Molzahn. Über das Jahr gesehen, kämen so durchaus größere Summen zusammen.

Auch zwischen China und sogenannten »bevorzugten Staaten«, zu denen alle EU-Länder sowie Liberia zählen, gibt es solche bilateralen Vereinbarungen. Verantwortlich dafür sind Handelsabkommen mit Meistbegünstigungsklausel. Bei einem Anlauf in China können Frachter bis zu 28% der Hafengebühren einsparen. »Das können im Jahr deutlich über 100.000$ sein«, sagt Gierga. Bei der Entscheidung der Reeder, welche Flagge sie fahren wollen, sollte so etwas mitberücksichtig werden, empfehlen die Experten.

Inspektionen in Krisenzeiten

Gerade in Krisenzeiten, in denen so manchem Reeder das nötige Kapital fehlt, um seine Schiffe in gutem Zustand zu halten, sind Inspektionen für die Register ein wichtiger Teil der Arbeit. Die Register schauen sich mittlerweile »ihre« Schiffe in regelmäßigen Abständen an, insbesondere solche, auf denen es in der Vergangenheit häufiger zu Beanstandungen gekommen ist. Das LISCR begutachtet etwa jedes seiner Schiffe mindestens einmal pro Jahr. Die »Annual Safety Inspections« führten Inspektoren durch, die man weltweit bereit halte, sagt Gierga.

Schiffe, die beispielsweise die Flagge der Marshall Islands führen wollen, werden in der Regel im Vorfeld einer Risikoanalyse unterzogen. Hierbei werden in erster Linie das Schiff, aber auch der Eigner und der Manager unter die Lupe genommen. Danach erfolgt die Entscheidung, ob das Schiff die Flagge führen darf und wann seitens des Flaggenstaats die nächste Inspektion geplant ist. Normalerweise geschehe dies nach zwölf Monaten, so Georgs, es sei denn, es seien Mängel festgestellt worden. Dann könne der Zeitraum bis zur nächsten Kontrolle auch erheblich verkürzt ausfallen. Dieses Prozedere hat sich bei vielen Flaggenstaaten bewährt.

Es sei immer entscheidend, den Einzelfall zu betrachten, sagt Georgs. Tendenziell würden auf Schiffen höheren Alters zwar mehr Mängel auftreten, daraus eine Regel abzuleiten wäre aber falsch. Es könne auch sein, dass sich Schiffe jüngeren Alters in einem schlechten Zustand befänden. Dies sei unter anderem abhängig von den Fähigkeiten und der Motivation der Crew, aber auch von den Mitteln, die der Eigner dieser zur Verfügung stelle, um gegebenenfalls Reparaturen durchführen zu können.

Kommt es häufiger zu Beanstandungen, wird das betreffende Schiff seitens der Flaggenstaaten öfter kontrolliert. Georgs spricht in diesem Zusammenhang von einer internen »Watch List«. In solchen Fällen werden die Crews bzw. der Eigner aufgefordert, ihre Schiffe besser in Ordnung zu halten. Sollte diese Aufforderung ihre Wirkung verfehlen, können Flaggenstaaten die Fahrzeuge auch aus ihrem Register streichen, ihnen also das Fahren der Flagge verweigern.

Flaggenstaaten haben auch die Möglichkeit, von vornherein eine Anfrage eines Reeders abzulehnen, sein Schiff unter der entsprechenden Flagge fahren zu lassen. Dies betrifft vor allem solche Fahrzeuge, die bei Hafenstaatkontrollen häufiger negativ aufgefallen sind bzw. sogar an die Kette gelegt wurden. Auf der anderen Seite erwarten die Reeder von den Flaggenstaaten auch Unterstützung, beispielsweise wenn Schiffe unberechtigt an der Weiterfahrt gehindert worden sind.

Portugal erlebte Molzahn zu Folge kürzlich die Festsetzung eines Fahrzeugs im Suezkanal aufgrund des Fehlverhaltens des Kapitäns. Euromar trat nach Information durch die Reederei unmittelbar in Kontakt mit der portugiesischen Botschaft in Kairo und konnte durch deren Intervention innerhalb von wenigen Stunden die Weiterfahrt ermöglichen. Wertvoll für die Reeder kann laut Molzahn also auch die Anfechtung eines unberechtigten Arrestes durch einen proaktiven Flaggenstaat sein.

Die enge Zusammenarbeit mit Portugal sieht Euromar als einen wichtigen Faktor an. Die Regierung des südwesteuropäischen Staates setze sich stark für die Flotte ein. Von einer »Billigflagge«, einem Vorwurf, dem einige Flaggenstaaten ausgesetzt seien, könne daher keine Rede sein. Auch Gierga wehrt sich gegen solche Bezeichnungen. Liberia sei ein offenes Register, das alle Konventionen ratifiziert. Zudem sei das LISCR Gründungsmitglied der IMO und sitze seit dem Jahr 2011 in dessen Rat. Entsprechend sei es an wichtigen Entscheidungen für die Schifffahrtsbranche beteiligt.


RD