Print Friendly, PDF & Email

China, Russland, USA – viele Staaten zeigen wachsendes Interesse an der Nordost­passage. Trotz weniger Volumen wird sie für die Schifffahrt stetig wichtiger. Doch die Branche ist auf Unterstützung angewiesen, auch von Wetterexperten. Von Michael Meyer

Eine der Folgen der immer wieder proklamierten – und mittlerweile nur noch von den Allerwenigsten angezweifelten – globalen Erwärmung ist, dass sich[ds_preview] der Schifffahrt in polaren Regionen prinzipiell immer mehr Möglichkeiten bieten. Transporte sind häufiger ohne Unterstützung durch spezielle Eisbrecher möglich (siehe z.B. S. 26/27). Das Potential ist groß, auch wenn das Transportvolumen entlang der nordrussischen Küste aufgrund der Witterungsbedingungen nach dem Höchstwert in 2013 wieder abnahm. Die Ressourcen in der Region und deren Ausbeutung gelten ohnehin als größerer Treiber für die Entwicklung der Passage. Sergey Kukushkin, Chef der Behörde für die Nordostpassage, machte jüngst öffentlich, dass im vergangenen Jahr der Umfang der Transite erneut rückläufig war. Das Gütervolumen lag bei 194.000t. 2016 sollen es 19 Schiffe mit 215.000t gewesen sein, nach 71 Schiffen mit 1,36Mio.t 2013. Im vergangenen Jahr wurden über den Seeweg 90.500t Flüssiggüter im Transitverkehr verschifft, inklusive 75.600t LNG. Hinzu kommen 76.100t »General Cargo«. Wichtig sei aber auch der Verkehr innerhalb der Nordostpassage, so Kukushkin. Dieser legte um 36% auf 9,9Mio.t zu, vor allem wegen 6Mio.t Öl aus dem Novoportovskoye-Feld. Auch in der Bering-Straße waren die Transitzahlen laut der US Coast Guard leicht rückläufig, von 540 Transiten 2015 auf 485. Das ist aber immer noch ein großer Sprung im Vergleich zu den 220 Passagen 2008.In der Regel hat die Eisfläche der Nordostpassage im Februar oder März ihre größte Ausdehnung, die kleinste im September. Nach Angaben des japanischen Dienstleisters Weathernews lag das Maximum im vergangenen Jahr bei 13,9 Mio km2. Das war der kleinste Wert seit Beginn der Aufzeichnungen 1979. Im September waren es 4,47Mio. km2, der sechstkleinste Wert für diesen Zeitpunkt. Weil auch das Abschmelzen schneller verlief, öffnete sich die Nordostpassage drei Wochen früher als sonst, am 3. September. Als Schlüsselstelle für die Möglichkeit von Schiffstransiten gilt das Eis in der Vilkitsky-Straße.In den vergangenen Jahren hatten einige Reedereien öffentlichkeitswirksam den Weg gewagt, darunter Stena Bulk, Hansa Heavy Lift oder Oldendorff Carriers. Für Containertransporte mit den charakteristischen, regelmäßigen und detailliert kalkulierten Fahrplänen ist die Route zwar (noch) nicht wirklich eine dauerhafte Alternative. Zu groß sind die Unsicherheiten in Bezug auf Wetter, Eisdicke und mögliche Wartezeiten. In anderen Branchen blickt man jedoch positiver auf die Entwicklung. Für Mehrzweck- oder Schwergutverschiffungen, LNG- und Öltransporte aus den arktischen Rohstoffvorkommen oder Bulk-Ladungen birgt die Nordostpassage unter Umständen einige Vorteile.Reedereien und Charterer sollten vor Antritt einer solchen Reise eine ganze Reihe von Analysen vornehmen. »Trotz dem vergleichsweise niedrigen Ölpreisniveau in den vergangenen Jahren sind die Bunkerkosten ein wichtiger Treiber«, sagt James Bond, Arktis-Experte bei der Klassifikationsgesellschaft American Bureau of Shipping (ABS). Wichtig sei, so Bond, dass sich Reeder der nach wie vor bestehenden Herausforderungen für die Schiffe bewusst sind. Der »Polar Code« biete gewiss Anhaltspunkte. Dennoch sei eine detaillierte Prüfung der Schiffe und Bedingungen wichtig, inklusive Kosten-Nutzen-Analysen. ABS bietet dafür spezielle Workshops an, basierend unter anderem auf dem »Polar Operational Limitation Assessment Risk Indexing System« (Polaris) der IMO. Deren Generalsekretär Kitack Lim hatte jüngst betont, dass der Polar Code als »lebendes Dokument« betrachtet werden solle, dass bei Bedarf angepasst und verbessert werden sollte.

Dabei variiert das Einsparpotenzial je nach Berechnung, Route und Einsatz. Der traditionelle Seeweg von Europa nach Asien durch den Suezkanal ist rund 11.200sm lang, der Weg durch die Nordostpassage dagegen rund ein Drittel kürzer. Bei Hyundai Merchant Marine heißt es etwa, die Route von Busan um die Kamtschatka-Halbinsel im russischen Osten und durch das Nordpolarmeer nach Europa könnte die Zeit zwischen Korea und Rotterdam von 24 Tagen auf der Südroute auf 14 Tage verkürzen. Die internationale Politik interessiert sich zunehmend für den »Nördlichen Seeweg«, eine Reihe Initiativen zeugt davon (siehe Kasten rechts). Als Anrainerstaat will vor allem Russland von dem Trend profitieren. In den vergangenen Jahren proklamierte die Regierung Putin wiederholt umfangreiche Investitionen in die Schifffahrts-, Hafen- und Notfallinfrastruktur. In der Branche wird zuweilen die »Begleitung« durch die russischen Behörden kritisiert. Zu den Schwierigkeiten gehören aufwendige und langwierige Genehmigungsprozesse, hohe Auflagen und Kosten, nicht zuletzt durch den Rückgriff auf Eisbrecher und Schlepper. Es mangele an hydrographischen Analysen und verlässlichen Kommunikationskanälen, meinen einige Betroffene. Die »Northern Sea Route Administration« war in ihrer jetzigen Form erst 2013 aufgestellt worden.Immer wieder waren diese Aspekte von Reedereien kritisiert worden, mit besseren, zumindest zeitgemäßen Rahmenbedingungen könne man die Transporte weiter ausbauen, hieß es. Das ist auch im Sinne Moskaus, der russische Staat erhofft sich Transiteinnahmen und eine bessere Erschließung seiner arktischen Rohstoffvorkommen. Und trotz den diversen wirtschaftspolitischen Sanktionen ist in den vergangenen Jahren einiges passiert. Eisbrecher wurden bestellt und gebaut, die Infrastruktur in Teilen modernisiert, die administrativen Abläufe verbessert. Unter anderem soll in Murmansk eine Basis für Vor- und Nachbereitungen von Passagen eingerichtet werden, beispielsweise um spezielle Beschichtungen anzubringen.

Doch eines kann selbst Vladimir Putin nicht kontrollieren: das Wetter. Gibt es keine halbwegs stabilen Witterungsbedingungen, können zumindest möglichst akkurate Prognosen und Routen-Optimierungen sehr helfen. Ein großer Markt für entsprechende Anbieter, zu denen unter anderem Weathernews gehört. Einer der Experten aus dem Ableger in Dänemark, Christopher Frederiksen, gibt der HANSA einen Einblick in mögliche Szenarien und Prognosen.

1986 in Reaktion auf verschiedene Havarien und die Schlussfolgerung, dass diese mit besseren Wetterkenntnissen vermeidbar gewesen wären, gegründet, beschäftigt Weathernews mittlerweile knapp 830 Mitarbeiter, die weltweite Wetterdaten über Eis, Wind, Wellen oder Strömungsverhältnisse zu Risikoanalysen verwerten. Man gehöre zu den größten Anbietern im Markt, auch wenn der Wettbewerb durch neue Akteure immer härter werde, so Frederiksen. Um die Marktanteile zu sichern, wolle man künftig die Frequenz der Analysen erhöhen.

»Wir haben zwei eigene Satelliten in Betrieb. Der erste war vor allem ein Test, aber vom Betrieb des zweiten Satelliten profitieren wir sehr. Er liefert sehr gute Bilder, mit denen wir unter anderem Eis-vorhersagen machen können, für die Nordost- und die Nordwestpassage, die nördliche Ostsee, den St.-Lawrence-Seeweg, das Ochotskische Meer oder den Golf von Bohai«, so Frederiksen. Der wachsenden Nachfrage geschuldet, wurde das Weathernews Global Ice Center (GIC) aufgebaut. So sollen Reeder unterstützt werden, die Sicherheit ihrer Seeleute und Ladungen zu gewährleisten. Dabei geht es auf Basis der vergangenen Jahre und mit dem Wissen über aktuelle Entwicklungen um die Wahrscheinlichkeit von Eisbildungen, Stürmen und Strömungen zu bestimmten Zeiten. Damit können Reedereien die Routen im Idealfall besser planen. »So wollen wir dazu beitragen, die Abteilungen Operations und Chartering näher zusammenzubringen«, sagt Frederiksen.

Die Transitroute hat für die russische Politik bereits seit jeher eine hohe Symbolkraft, nicht zuletzt wegen der Rohstoffprojekte Yamal LNG und Sakhalin-2. Die Nordostpassage wird als nationales Gewässer betrachtet. Russlands Präsident Vladimir Putin erwartet, dass sie schon bald eine »Hauptverkehrsader« der Schifffahrt wird. In der Frage des Transportpotenzials zeigte er sich recht optimistisch. Der jährliche Gütertransport werde bis zum Jahr 2035 bis zu 30Mio. t Tonnen erreichen, prognostizierte der Präsident 2017.

Im Wettrennen um Rohstoffe in der Arktis hat die Regierung zuletzt massiv aufgerüstet und investiert in die nationale Eisbrecherflotte. Sie besteht aus 40 Einheiten, weitere elf neue Eisbrecher, drei davon mit nuklearem Antrieb, sollen gebaut werden. Jüngster Neubau einer vier Schiffe umfassenden Serie von Multifunktionseisbrechern ist die »Yevgeni Primakov«. Die staatliche Reederei Sovcomflot (SCF) hatte die Eisbrecher bei der Arctech-Werft in Helsinki bestellt, (noch) eine Tochter der russischen Schiffbaugruppe USC. Klassifiziert werden die Neubauten vom Russian Register of Shipping mit der Notierung »RS Icebreaker6 AUT-1 OMBO FF3WS DYNPOS-2 ANTI-ICE ECO Winterization(-35) Passenger ship, Supply vessel, Oil recovery ship«. Russland gibt es allerdings Stimmen, die noch weitere Investitionen fordern. So sagte Vyacheslav Ruksha von der Reederei Atomflot jüngst auf einer internationalen Konferenz, dass bis 2025 vier 40 MW-, zwei 60 MW- und drei 120 MW-Eisbrecher nötig seien.In Russland feierte man die Passage des eisbrechenden LNG-Tankers »Christophe de Margerie«. Der 299m lange Tanker absolvierte die 2.193sm lange Passage ohne Eisbrecher in nur sechseinhalb Tagen. Von Hammerfest nach Südkorea benötigte er 19 Tage und war damit um rund ein Drittel schneller als über südliche Routen, bei einer Eisdicke von bis zu 1,2m. Die »Christophe de Margerie« fährt für Sovcomflot und kann der Reederei zufolge in bis zu 2,1m dickem Eis operieren. Sie ist Teil einer 15 Schiffe umfassenden Serie, an der sich auch die Carrier Teekay, Dynagas und MOL beteiligen. Der Tanker soll in den kommenden Jahren auf der Nordostpassage eingesetzt werden und Ladungen von Yamal und Murmansk nach Asien, Europa und Indien transportieren. Das Projekt wurde im vergangenen Jahr gestartet, mit einem jährlichen Umfang von 5,5Mio.t. Die zweite und dritte Ausbaustufe sollen in diesem und im nächsten Jahr den Betrieb aufnehmen.

Gute Aussichten?

Im GIC will man nicht ausschließen, dass die Möglichkeiten für arktische Transporte künftig weiter zunehmen. Auch wenn es von Zeit zu Zeit vermeintlich gegenläufige Trends gibt. So war die Nordwestpassage nördlich von Kanada 2017 gar nicht für Schiffe geöffnet. Aus dem GIC hat man dafür eine Erklärung: »Durch die globale Erwärmung war das Eis stärker in Bewegung. So driftete mehr arktisches Eis in die kanadischen Gewässer, wodurch die Passage unbefahrbar war«, heißt es. Dennoch, da sind sich die meisten Experten einig, dürften die nördlichen Seewege weiter an Bedeutung gewinnen – für Reedereien, aber auch für geopolitische Zwecke. In der Schifffahrt hofft man, dass entsprechende Vorstöße den freien Seeverkehr fördern und nicht Protektionismus genau in dem Moment einschränkend wirkt, in dem das Wetter günstigere Bedingungen bietet.

Michael Meyer